24.09.2012
Erneut halten gewalttätige Proteste in vielen islamischen Ländern die Welt in Atem. Anfang September war auf dem Internetportal Youtube ein Film aufgetaucht, der nach Ansicht vieler Muslime den Propheten Mohammed und somit die gesamte islamische Welt beleidigt. Wenige Tage später druckte eine französische Zeitung Mohammed-Karikaturen, also Witzbilder über den islamischen Propheten. Damit wurden die Proteste weiter angeheizt und es kam zu mehreren Toten. Was sind die Hintergründe des Konflikts und wieso reagieren viele Muslime so heftig auf die Veröffentlichungen?
Wie schon bei dem Karikaturen-Streit Anfang 2006 ist auch bei den aktuellen Ausschreitungen die Verletzung religiöser Gefühle von Muslimen der Auslöser für die Unruhen. Im Juni tauchte im Internet ein Videofilm mit dem Titel "The Innocence of Muslims" ("Die Unschuld der Muslime") auf. In dem kurzen Film wird der Prophet Mohammed auf verspottende Weise als Mörder, Kinderschänder und abwechselnd als schwul oder Frauenheld dargestellt.
Am Anfang hieß es, der Film sei von einem US-Amerikaner mit israelischen Wurzeln gedreht worden. Doch wenig später stellte sich heraus, dass der Macher des Filmes ein in den USA lebender koptischer Christ ist. (Koptische Christen leben in Ägypten und stellen dort mit etwa neun Millionen Gläubigen die größte religiöse Minderheit dar.) Der 55 Jahre alte Regisseur des Filmes soll in den USA schon häufiger mit dem Gesetz in Konflikt geraten sein. So wurde er etwa wegen Bankbetrugs und Steuervergehen zu 21 Monaten Haft und 800.000 Dollar Strafe verurteilt, heißt es.
Für erste Empörung bei vielen Muslimen sorgte eine arabischsprachige Fassung des Videos, die die Macher des Videos Anfang September an etwa 100 Gleichgesinnte sowie Journalisten in Ägypten schickten. Kurz darauf wurden Ausschnitte in einem ägyptischen Fernsehsender ausgestrahlt. Nach der Sendung kam es zu ersten spontanen Protesten und Ausschreitungen unter Muslimen. Vertreter der koptischen Christen in den USA verurteilten das anti-islamische Video. Der Regisseur und seine Mitarbeiter seien "hasserfüllte Außenseiter", mit denen die koptische Gemeinde nichts zu tun haben wolle.
In den nächsten Tagen weiteten sich die Proteste in der gesamten islamischen Welt aus. In Kairo protestierten tausende Menschen vor der Botschaft der USA, in der libyschen Stadt Bengasi stürmten Demonstranten die US-Botschaft und töteten den Botschafter und drei seiner Mitarbeiter. Auch im Jemen, Iran, Irak, in Tunesien, Pakistan und weiteren islamisch geprägten Ländern kam es zu Protesten mit vielen Todesopfern.
Mohammed-Karikaturen verschärfen die Lage
Die Gewalt wird durch weitere Ausschnitte des Filmes angeheizt, die vor allem von radikal-islamischen Fernsehsendern ausgestrahlt werden. Zusätzlich hetzen auch offizielle Stellen die Menschen auf. So bietet der pakistanische Eisenbahnminister Ghulam Ahmed Bilour sogar ein "Kopfgeld" für die Tötung des Regisseurs an. Demjenigen, der "diesen Gotteslästerer" töte, will Bilour 100.000 Dollar aus der eigenen Tasche zahlen.
In dieser aufgeheizten Stimmung entschied das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo", mehrere Karikaturen über den Propheten Mohammed zu veröffentlichen. Karikaturen, die meist öffentliche und bekannte Personen oder Figuren wie etwa Politiker mit extremen Gesichtszügen wie zum Beispiel riesigen Nasen darstellen, zeichnen sich absichtlich durch völlige Übertreibung aus. Oft werden solche Bilder durch Sprechblasen oder Kommentare ergänzt. Zum Teil soll dies einfach lustig sein, in vielen Fällen wird durch eine solche Satire ("Spottdichtung") auch eine versteckte oder hintersinnige Kritik an Menschen, Anschauungen oder Tatsachen geübt. Kurz nach der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen rief ein Mann auf einer islamistischen Internetseite dazu auf, den Chefredakteur des Blattes zu "köpfen". Die französische Polizei hat den Urheber des Aufrufs inzwischen festgenommen. Gleichzeitig verbot die französische Regierung Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen aus Angst vor weiterer Gewalt.
Zahlreiche Muslime sind über den Schmäh-Film und die Witzbilder empört, weil ihrer Ansicht nach dadurch Mohammed, der Begründer des Islam, und ihr gesamter Glaube zutiefst beleidigt werden. In vielen Teilen der islamischen Welt ist es verboten, Allah (Gott) und Mohammed überhaupt abzubilden. Mohammed wurde im Jahre 570 in der arabischen Stadt Mekka geboren und starb 632 in Medina. Er begründete den Islam als "monotheistische" Religion, also als Glaubensrichtung, die nur einen Gott verehrt. Vorher herrschten im arabischen Raum Religionen vor, die an mehrere Götter glaubten. Als Mohammed etwa 40 Jahre alt war, soll ihm der Erzengel Gabriel (arabisch "Dschibril") erschienen sein und ihm die ersten Offenbarungen des Korans übermittelt haben. Diese wurden von Mohammeds Anhängern niedergeschrieben und gelten als die Ursprünge des Korans. Das heilige Buch der Muslime umfasst die Inhalte und Gebote islamischen Glaubens. Weil er mit seiner Religion bei den Herrschern in Mekka auf starken Widerstand stieß, flüchtete Mohammed später nach Medina. Mit dem Tag seiner Ankunft beginnt die islamische Zeitrechnung. Im Jahre 632 starb Mohammed dort. Sein Grab ist auch heute noch erhalten.
Mohammed ist für die Muslime etwa so bedeutend wie Jesus für die Christen. Beide waren Begründer monotheistischer Religionen, die in den folgenden Jahrhunderten viele Anhänger fanden. Heute gibt es etwa 1,3 Milliarden Muslime auf der ganzen Welt und damit stellt der Islam die zweitgrößte Weltreligion nach dem Christentum dar. Jeder Moslem soll die Gebote des Korans befolgen. Dazu gehört zum Beispiel, dass gläubige Muslime jedes Jahr zur Zeit des Ramadan fasten oder einmal in ihrem Leben eine Wallfahrt in die heilige Stadt Mekka, den Geburtsort Mohammeds, machen sollen.
Ursachen der Proteste liegen tiefer
Dass sich Gläubige empören, wenn ihre Religion verunglimpft oder lächerlich gemacht wird, ist verständlich. Auf Unverständnis im Westen stoßen aber der Umfang der Proteste in der islamischen Welt sowie der Hass und die Gewaltbereitschaft vieler Demonstranten. Dabei haben offenbar viele der Protestler weder das Video noch die Karikaturen überhaupt gesehen. Das hält sie aber nicht davon ab, sich lautstark zu empören. Für viele Beobachter liegen daher die Ursachen für die Proteste viel tiefer.
Einige Experten vermuten, dass islamkritische Filme oder Karikaturen nur ein Auslöser oder gar Vorwand sind, um eine generelle Unzufriedenheit mit dem Westen zu demonstrieren. Viele Muslime haben das Gefühl, dass vom Westen und seiner Dominanz in der globalisierten Welt ein kultureller Angriff auf ihre Identität ausgeht. Dieses Empfinden sei in den vergangenen Jahren durch die Reaktion der US-Politik auf die Anschläge vom 11. September 2001 extrem gesteigert worden - insbesondere durch den Krieg in Afghanistan und im Irak, hebt der Islamwissenschaftler Guido Steinberg hervor. Weiterhin wird die gewaltgeladene Stimmung seiner Ansicht nach durch die Unterstützung der israelischen Politik durch den Westen angeheizt. Das militärische Vorgehen im Gaza-Streifen und die aggressive Siedlungspolitik Israels sind den Menschen in den islamisch geprägten Ländern ein Dorn im Auge.
Dass sich der Hass dabei vor allem gegen die USA richtet, liege in der US-Politik der Vergangenheit begründet. Nach den Anschlägen vom 11. September habe die USA unter George W. Bush nach Steinberg "alles falsch gemacht, was man falsch machen kann im Verhältnis zur islamischen Welt". Vor allem die militärischen Eingriffe durch US-Soldaten und den Beginn des Irak-Kriegs "ohne einen akzeptablen Grund" sieht der Islamwissenschaftler kritisch. Dieser habe die anti-amerikanische Stimmung in der gesamten islamischen Welt gesteigert. Das wird wiederum von radikalen Muslimen ausgenutzt, um die Muslime weiter gegen den Westen aufzuhetzen, dessen Kultur sie als Inbegriff der "Verderbtheit" und "Gottlosigkeit" ansehen. Hinzu kommt, dass durch die Umwälzungen im arabischen Raum viele früher verbotene islamistische Kräfte Oberwasser gewonnen haben. Sie können jetzt viel leichter öffentlichen Hass schüren als in der Vergangenheit.
Unterschiedliche Werte prallen aufeinander
Ein US-Richter hat eine Klage gegen den umstrittenen Mohammed-Film und die Sperrung auf der Internet-Seite abgelehnt. Auch die Veröffentlichung der Karikaturen wurde in Frankreich nicht verboten. Das können viele Muslime nicht verstehen. Sie glauben, dass die westlichen Regierungen die "Beleidigung des Propheten" nicht ernst nehmen würden. Deshalb gilt ihr Hass auch den diplomatischen Vertretungen westlicher Staaten.
Dabei übersehen sie allerdings, dass im Westen Staat und Religion per Verfassung getrennt sind und dass die Presse- und Meinungsfreiheit in westlichen Ländern ein sehr wichtiges Grundrecht ist. Dies gilt natürlich auch für Satire oder Kritik - unabhängig davon, ob sie den islamischen oder christlichen Glauben oder andere Überzeugungen betrifft. Auch christliche Würdenträger sind immer wieder Ziel von Kritik, Spott und Häme. So zeigte das Satiremagazin "Titanic" Papst Benedikt XVI. etwa mit einem Urinfleck an seinem Gewand und der Unterschrift: "Die undichte Stelle ist gefunden".
Auf die Wut vieler Muslime, die sich bis hin zu Gewalttaten steigerte und sogar zu Anschlägen und Morden führte, reagierte wiederum der Westen mit Entsetzen. Denn es steht für die meisten in keiner Verhältnismäßigkeit, als Beleidigung und Angriff auf die eigene Religion empfundene Veröffentlichungen mit Drohungen, Gewalt und Mord zu ahnden. Frieden ist für die meisten Muslime ein wichtiger Grundwert ihrer Religion. Nur eine radikale Minderheit versteht den islamischen "Dschihad" (übersetzt "Kampf" oder "Anstrengung") als Kampf gegen die "Ungläubigen" mit allen Mitteln - notfalls auch durch Terror und Gewalt.
Bei Fragen der Meinungsfreiheit muss immer abgewogen werden, ob die Äußerung sich noch im Rahmen des Gesetzes befindet oder eine Verletzung der Würde von einzelnen Menschen oder Gruppen darstellt. Auch Religionsfreiheit ist in demokratischen Ländern wie Deutschland ein wichtiges Gut, das durch die Verfassung geschützt wird. Eigentlich herrscht jedoch Einigkeit darüber, dass ein satirischer Film oder Karikaturen über Religionen durch die Meinungs- und Pressefreiheit geschützt sind und nicht gleich gegen die Menschenwürde oder Religionsfreiheit verstoßen.
Es gibt in Deutschland dennoch Stimmen, die eine öffentliche Aufführung des Mohammed-Filmes verbieten wollen. Der Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) sagte, der Film diene dazu, "Muslime zu verleumden und in ihrer Würde zu verletzen". Auch Bundesminister Dirk Niebel will den Film verbieten lassen, aber vor allem wegen der Folgen, die eine Aufführung haben könnte: Wer sich hier auf "grenzenlose Meinungsfreiheit" berufe, wisse nicht, welche Konflikte daraus noch erwachsen könnten, sagte der FDP-Politiker.
Andere Politiker halten ein Verbot für den falschen Weg und betonen, dass es entscheidend sei, für Aufklärung zu sorgen und Toleranz sowie den friedlichen Austausch zwischen den Religionen zu fördern. Für viele ist es sehr bedenklich, sich aus Angst vor den Folgen für ein Verbot auszusprechen, dass sich kaum mit unseren demokratischen Grundwerten vereinbaren lässt. Wenn man damit anfängt, sei dies ein gefährlicher erster Schritt, um wichtige Grundrechte einzuschränken. Politisch rechte, ausländerfeindliche Gruppen und Parteien nutzen die aufgeheizte Stimmung wiederum, um gegen die islamische Welt zu hetzen. Die rechtsextreme Kleinpartei "Pro Deutschland" will den Film entgegen vieler Widerstände im November in einer Lagerhalle in Berlin zeigen.
Lösung liegt im friedlichen Dialog und Respekt
Eine Beruhigung der Lage ist nur durch gegenseitige Toleranz und einen gemeinsamen Dialog zu erreichen. Das bedeutet, dass beide Seiten die Überzeugungen der anderen akzeptieren und respektieren, aufeinander zugehen und offen für einen Austausch sein müssen. Der Westen muss erkennen, dass militärische Gewalt wie im Irak oder Afghanistan keines der Probleme gelöst hat. Vielmehr hat die Geschichte gezeigt, dass durch solche Militäraktionen die Lage verschlimmert wird, sich der Hass auf der anderen Seite steigert und nun besonders radikale Kräfte zum Zuge kommen. In der islamischen Welt sollte hingegen zu Frieden und Mäßigung aufgerufen werden, anstatt den Hass weiter zu schüren.
Zur Lösung des Konflikts muss der Westen sich in Zurückhaltung üben und die empörten Muslime müssen aufhören, ihren Unmut durch Aggression, Hassreden, Hetzerei oder gar Gewalttaten auszudrücken. Für viele Menschen im Westen ist es natürlich schwer zu verstehen, dass die gläubigen Muslime derart erzürnt reagieren. Nach unseren Wertmaßstäben ist es alltäglich, dass man sich über Menschen, Überzeugungen, Glauben oder Politik auch öffentlich lustig machen darf - in vielen Fällen ist das gleichzeitig eine Art, Kritik zu äußern und auf Missstände hinzuweisen. Auf alle Fälle gehört es zu unserem Verständnis von Demokratie, dass eine solche Meinungsfreiheit erlaubt sein muss. In der muslimischen Welt gelten allerdings andere Wertmaßstäbe und nicht nur ist es für viele ein wichtiges Gebot, dass Mohammed nicht einmal abgebildet werden darf. Auch wird es viel ernster genommen als bei uns, wenn eine heilige Person öffentlich lächerlich gemacht und beleidigt wird. Die Glaubensanhänger fühlen sich zutiefst verletzt und angegriffen.
Dass jedoch Kritik und Protest auch friedlich und ohne Zwischenfälle ausgedrückt werden können, zeigten Demonstrationen von Muslimen in deutschen Städten. So versammelten sich hunderte von Menschen und hielten dabei zum Beispiel Plakate mit der Aufschrift "Nein zu Gewalt, Ja zu Toleranz" oder "Respekt für alle Religionen. Stoppt den Film, stoppt den Spott!" in die Höhe.
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