von Björn Pawlak - 15.07.2010
Am 10. April 2010 war der polnische Präsident Lech Kaczyński gemeinsam mit zahlreichen anderen Vertretern von Regierung und Militär bei der Flugzeugkatastrophe von Smolensk ums Leben gekommen. Nach den vorgezogenen Neuwahlen für das Amt des Staatspräsidenten steht mittlerweile fest, dass der neue Präsident Polens Bronislaw Komorowski heißen wird - in der entscheidenden Stichwahl kam er auf einen Stimmenanteil von 53 Prozent. Sein unterlegener Herausforderer Jaroslaw Kaczyński (der Bruder des verunglückten Ex-Präsidenten) musste sich mit 46 Prozent Stimmenanteil am Ende knapp geschlagen geben.
Komorowski gehört der als "liberal-konservativ" geltenden und an Polens Regierung beteiligten "Bürgerplattform" (im Polnischen "Platforma Obywatelska", kurz "PO") an, Kaczyński hingegen war für die eher katholisch und nationalistisch ausgerichtete Partei "Recht und Gerechtigkeit" (im Polnischen "Prawo i Sprawiedliwość", kurz "PiS") angetreten.
Die erste Wahlrunde am 20. Juni war ohne Ergebnis geblieben, weil keiner der Kandidaten die "absolute Mehrheit" (also mehr als die Hälfte aller Stimmen) für sich verbuchen konnte. Deswegen gab es zwei Wochen später eine weitere Wahlrunde. Komorowski galt im Vorfeld der Wahlen als klarer Favorit - am Ende wurde es spannender als erwartet.
Für Kaczyński stimmte vor allem die ländliche Bevölkerung, während in den größeren Städten Komorowski siegte. Zudem gibt es ein regionales Gefälle: Im Norden und im Westen Polens siegte bis auf wenige Ausnahmen Komorowski, im Süden und im Osten des Landes hingegen meist Kaczyński. Die Wahlbeteiligung lag in beiden Wahlgängen bei rund 55 Prozent - im zweiten Wahlgang noch etwas höher als im ersten.
Komorowski ist zwar schon gewählt, offiziell wird er sein Amt allerdings erst nach der Vereidigung im August antreten. Bis dahin bleibt Grzegorz Schetyna als Vorsitzender des Abgeordnetenhauses "kommissarischer" Staatspräsident Polens ("kommissarisch" heißt soviel wie "stellvertretend").
Bronislaw Komorowski und das Amt des Staatspräsidenten
Komorowski wurde 1952 in der Nähe von Breslau geboren. Er stammt aus einer litauisch-polnischen Adelsfamilie aus der Gegend von Vilnius. Vor der politischen Wende in den Jahren 1989 und 1990 war er wegen "regimekritischer Aktivitäten" mehrere Male in Haft.
Nach der Wende wurde er umgehend in das polnische Parlament gewählt, und zwar in die Kammer des "Sejms". (Das polnische Parlament besteht aus zwei Kammern, "Sejm" und "Senat" genannt.)
Im Jahr 2000 wurde Komorowski polnischer Verteidigungsminister. Im Jahr darauf war er Gründungsmitglied der Bürgerplattform (PiS). Beim Tod von Staatspräsident Lech Kaczyński war Komorowski Vorsitzender ("Marschall") des Sejms - in dieser Funktion hatte er das polnische Präsidentenamt bereits stellvertretend übernommen.
Anders als in Deutschland wird der Staatspräsident in Polen direkt vom Volk gewählt. Seine Machtfülle ist größer als in Deutschland und geht über rein repräsentative Funktionen hinaus - gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten kümmert er sich auch um die Außenpolitik. Man darf das Amt des Staatspräsidenten nicht mit dem des Ministerpräsidenten verwechseln - beide Ämter existieren getrennt voneinander.
Gegen im Parlament geschlossene Gesetze kann der polnische Staatspräsident sein "Veto" einlegen - das Gesetz braucht dann eine Dreifünftelmehrheit im Parlament, um gegen den Willen des Präsidenten durchgesetzt zu werden. ("Veto" heißt im Lateinischen "ich verbiete" - es handelt sich allgemein um das Einspruchsrecht von Einzelnen oder Minderheiten gegen einen Beschluss der Mehrheit.) Außerdem ist der polnische Staatspräsident Oberbefehlshaber der Streitkräfte - auf Antrag des Ministerrats kann er den Kriegszustand ausrufen.
Wahlkampf im Schatten der Flugzeugkatastrophe
Der Wahlkampf verlief, anders als sonst, ohne persönliche Anfeindungen der Kandidaten untereinander - man legte stattdessen Zurückhaltung an den Tag, um die in Smolensk Verstorbenen zu würdigen. Außerdem sprachen alle Politiker davon, dass in solch schwierigen Zeiten ganz Polen enger zusammenrücken sollte.
In Polen wurden durch die Flugzeugkatastrophe Erinnerungen an das "Massaker von Katyn" wach. Damals kam es zu einer von sowjetischer Seite auf Anweisung Stalins durchgeführten Ermordung von zahlreichen polnischen Offizieren, Polizisten, Intellektuellen und andere "Eliten". (Als Elite - vom lateinischen Wort "electus", das bedeutet "auserlesen" - bezeichnet man die herrschenden und einflussreichen Gesellschaftskreise.)
Durch die Flugzeugkatastrophe und ihre Folgen konnte die PiS gegenüber der PO Stimmen gut machen - zuvor waren nach Umfragen rund zwei Drittel aller Polen für einen politischen Wechsel das Amt des Staatspräsidenten betreffend. Jüngst bei den Wahlen sah dies jedoch ganz anders aus, der Vorsprung des PO-Kandidaten Komorowski vor dem PiS-Kandidaten Kaczyński schmolz immer mehr dahin.
Jaroslaw Kaczyński ist bekannt für seine angriffslustigen Äußerungen - im Wahlkampf gab er sich allerdings äußerst zurückhaltend. Besonders überrascht war man darüber, dass Kaczyński sich auch gegenüber Russland eher freundschaftlich gab. Mit Russland, wie auch mit Deutschland, hat Polen aufgrund der Geschichte ein besonders schwieriges Verhältnis.
Flutkatastrophe und Werben für polnische "Eintracht"
Das Unglück von Smolensk nahm Kaczyński zum Anlass, um auch in Erinnerung an Katyn das Gemeinschaftsgefühl unter den Polen zu betonen: "Dieses Gefühl könnte zu einem Impuls für eine neue Qualität der Politik werden. Die politischen Unterschiede dürfen den Aufbau eines modernen Landes nicht länger blockieren. Denn was uns verbindet, ist Polen. Und Polen ist das Wichtigste. Polen muss ein moderner Staat sein, der zugleich seine Stärke aus allem zieht, was unsere Tradition ausmacht." Komorowski schlug mit dem Wahlspruch "Eintracht gestalten" einen ähnlichen Ton an.
Ein anderes Thema zur Zeit des Wahlkampfs war das Hochwasser, das nach starken Regenfällen einige polnische Regionen heimsuchte - ganze Dörfer wurden von den überflutenden Flüssen Weichsel, Oder und Warthe überschwemmt. Der von Ministerpräsident Donald Tusk (PO) geführten Regierung wurde vorgeworfen, nicht ausreichend Vorsorge getroffen zu haben - immerhin war es 1997 schon einmal zu einer großen Flutkatastrophe gekommen, aus der man hätte lernen können.
Andererseits kümmerte sich die Regierung gut um die Opfer des Hochwassers - es wurden Soforthilfen an die Betroffenen ausgezahlt, wichtige Regierungsvertreter waren ständig als Ansprechpartner vor Ort. Das Krisenmanagement der Regierung half anbetrachts der Wahlen eher dem PO-Kandidaten Komorowski.
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