10.07.2006
Alle 64 Spiele der WM sind gespielt. Zeit für ein Fazit. Drei Tage nach dem WM-Ende ist Jürgen Klinsmann als Bundestrainer zurückgetreten, sein Assistent Joachim Löw wird die Aufgabe übernehmen. Der Schweizer Präsident des Weltfußballverbandes Fifa, Sepp Blatter, lobt die Endrunde 2006 als die "beste WM aller Zeiten". Obwohl insgesamt am zweitwenigsten Tore bei einer WM fielen, feierten viele Millionen Menschen ausgelassen das Spektakel. Wer waren die Superstars des Turniers? Welche Ereignisse werden in Erinnerung blieben?
Es heißt immer wieder, dass die WM Deutschland grundlegend verändert habe. Auf jeden Fall hat sie für ein neues "Wir-Gefühl" gesorgt. Die Deutschen zeigten während der WM-Feiern so viel Flagge wie niemals zuvor. Schwarz-Rot-Gold wehte von unzähligen Balkonen und - im Kleinformat - an sehr vielen Autos.
Das hing auch stark mit dem unerwarteten Erfolg und dem erfrischenden Spiel der Klinsmann-Elf zusammen. Nach dem Ausscheiden im Halbfinale erwiesen sich die deutschen Fans als faire Verlierer. Sie feierten den 3:1-Sieg gegen Portugal im "kleinen Finale" um Platz 3 fast wie einen Titelgewinn.
"Beste WM aller Zeiten"
Der Fußball-Weltverband Fifa hat die tolle, einmonatige Party-Stimmung in Deutschland und die weitgehend perfekte Organisation des Mega-Ereignisses gelobt. "Dies ist die beste Weltmeisterschaft aller Zeiten", sagte Fifa-Präsident Sepp Blatter begeistert.
Noch nie sei ein Event so emotional und global dargestellt worden, sagte der Schweizer über das Turnier. Deutschland habe sensationelle Arbeit geleistet: "Das betrifft Atmosphäre und Logistik. Teams und Schiedsrichter wurden gut betreut, die Stadien funktionierten perfekt", sagte er. Damit dürfte Blatters heftige Kritik am WM-Organisations-Komitee vor dem Turnier vergessen sein. Der Fifa-Boss hatte sich heftig über den Verkauf der Eintrittskarten für die Spiele aufgeregt.
Der "Kaiser" zu Gast in allen Stadien
Einen großen Anteil am Erfolg hatte "Kaiser" Franz Beckenbauer. 46 der 64 Spiele hat der Chef des WM-Organisations-Komitees persönlich gesehen - manchmal drei an einem Tag. Dafür hat er sich mit dem Hubschrauber von Stadion zu Stadion fliegen lassen. "Millionen Fans haben weltweit Anteil an dem Großereignis genommen", sagte Beckenbauer.
Das Turnier habe den Beweis dafür geliefert, dass die Deutschen euphorisch, ausgelassen und vor allem friedlich feiern können. "Es hat alles gepasst. Bei den Fanfesten haben unterschiedliche Rassen und Religionen nebeneinander gestanden", so der "Kaiser" weiter. "So stellt sich der Liebe Gott die Welt vor, auch wenn wir in der Realität noch 100.000 Jahre davon entfernt sind."
Franz Beckenbauer hatte vor dem Turnier alle 31 WM-Gastländer bereist und sie offiziell Willkommen geheißen. Nachdem Beckenbauer 1974 als Spieler und 1990 als Trainer Weltmeister geworden ist, hat sich der Bayer nun auch als WM-Organisator einen Namen gemacht.
Alle Stadien waren immer ausverkauft
Die Plätze in den Stadien waren das erste Mal bei einer Weltmeisterschaft zu 100 Prozent gefüllt. Insgesamt besuchten 3,36 Millionen Zuschauer die WM-Spiele live in zwölf Stadien. Durchschnittlich kamen 52.491 Besucher pro Spiel, nur bei der WM 1994 in den USA (68.991) und bei der WM 1950 in Brasilien (60.773) strömten aufgrund der größeren Stadien im Schnitt mehr Zuschauer in die Arenen.
Viele Fans, die bei der jetzigen WM kein Ticket mehr für die Spiele ergattern konnten, blieb das "Public Viewing" (Öffentliche Sehen). Etwa 16 Millionen Menschen strömten zu den Fan-Festen und verfolgten die Spiele auf Großleinwänden. Insgesamt haben etwa 32 Milliarden Fernsehzuschauer die WM verfolgt. In Deutschland war die WM ein "Straßenfeger". Den Halbfinalkrimi Deutschland gegen Italien lockte zeitweise über 31 Millionen Menschen vor den Fernseher. Das ist der höchste Zuschauerwert, der jemals in Deutschland gemessen wurde. Den bisherigen Rekord hielt das WM-Finale von 1990 zwischen Deutschland und Argentinien (28,6 Mio). Bei dieser WM haben nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Jugendliche sehr oft und sehr viel Fußball geguckt.
Keine Anschläge und wenig Hooligans
Zu den befürchteten schweren Zwischenfällen ist es zwischen dem 9. Juni und dem 9. Juli zum Glück nicht gekommen. Es gab weder Anschläge, noch konnten Neonazis das Sportereignis als Plattform nutzen, um auf sich aufmerksam zu machen. Auch Hooligan-Ausschreitungen, mit denen man im Vorfeld der WM gerechnet hatte, gab es nur sehr wenige.
Die Polizei hatte englische und polnische Hooligans offenbar noch rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen. Die meisten Probleme bereiteten einige deutschen Randalierer, aber auch diese Knallköpfe hatten keine Chance, die gute WM-Stimmung zu trüben.
Wenig Tore
Das Umfeld war also super, allein der Sport konnte nicht immer überzeugen. Tolle Spiele mit vielen Toren wie beim 6:0 der Argentinier gegen Serbien-Montenegro oder das 4:2 der deutschen Mannschaft im Eröffnungsspiel gegen Costa Rica blieben die Ausnahme. Ansonsten war die Treffer-Ausbeute mager. In den 64 Spielen wurden - wenn man die Elfmeterschießen weglässt - insgesamt nur 147 Tore erzielt. Dies entspricht einem Schnitt von 2,30 Treffern pro Partie. Nur bei der WM in Italien, die mit dem dritten deutschen Titelgewinn endete, fielen noch weniger Tore.
Da ist es fast natürlich, dass mit Italien und Frankreich die beiden Mannschaften mit der besten Abwehr ins Finale einziehen konnten. Beide Teams traten stets mit nur einer Sturmspitze an und kassierten im gesamten Turnierverlauf (ohne Elfmeterschießen) nur zwei (Italien) beziehungsweise drei (Frankreich) Gegentore. Italien holte aufgrund der geschlossenen Leistung und der hervorragenden taktischen Einstellung sowie mit etwas Glück im Elfmeterschießen den Titel. Zudem zeigte der italienische Torwart Gianluigi Buffon einige Weltklasse-Paraden. Dafür wurde er zum besten Keeper des Turniers gewählt.
"Goldener Schuh" für Miroslav Klose
Bei der insgesamt geringen Trefferausbeute reichten dem deutsche Nationalstürmer Miroslav Klose fünf Tore, um sich den "Goldenen Schuh" für den besten Torjäger zu sichern und zu einem der Superstars des Turniers zu werden. Mit so wenig Treffern ist zuletzt im Jahre 1962 ein Spieler Torschützenkönig geworden (Streng genommen hätte Klose sogar nur vier Tore für den Goldenen Schuh benötigt). Der Bundesliga-Torschützenkönig spielte eine starke WM und rangiert mit nun insgesamt zehn WM-Treffern in der ewigen deutschen WM-Torjägerliste auf Rang drei hinter Gerd Müller und Jürgen Klinsmann.
Miroslav Klose ist der zweite deutsche WM-Torschützenkönig nach Gerd Müller, der diese Trophäe 1970 gewann. Superstars wie Ronaldo (Brasilien), Crespo (Argentinien) oder Thierry Henry (Frankreich) konnten sich durch die defensive Ausrichtung der Mannschaften nicht so sehr in Szene setzen.
Zidane zum besten Spieler gewählt
Der 34-jährige Franzose Zinedine Zidane wurde überraschend zum "Wertvollsten Spieler der WM" gewählt. Seine Leistungen waren in der Tat hervorragend. Ihm alleine hat es seine Französische Mannschaft zu verdanken, dass sie es ins Finale schaffte. Und auch im Endspiel blitze das enorme Können des genialen Mittelfeld-Regisseurs der "Équipe Tricolore" auf - etwa bei seinem wunderbar verwandelten Elfmeter, als er den Ball unhaltbar ins Tor von Gianluca Buffon "streichelte".
Doch der Abgang des Franzosen, der bereits vor dem Turnier klargestellt hatte, dass er nach der WM nicht mehr für die "Bleus" (Blauen) spielen will, wird aus einem anderen Grund in Erinnerung bleiben. Er ratstete in der Verlängerung aus und attackierte seinen Gegenspieler. Dem Schiedsrichter blieb keine andere Wahl, als den besten französischen Fußballer aller Zeiten mit einer Roten Karte vom Platz zu schicken. Trauriger hätte Zinedine Zidanes Abgang nicht sein können. Vielleicht baut es ihn etwas auf, dass er trotz seines "Blackouts" zum besten Spieler des Turniers ernannt worden ist.
"Prinz Poldi" bester Nachwuchskicker
Der 21-jährige deutsche Stürmer Lukas Podolski wurde von der Fifa zum besten Nachwuchsspieler der WM ernannt. Er erhielt die Ehrung nicht zuletzt, weil er drei Tore geschossen hat. Neben Podolski waren 39 weitere Spieler nominiert. In der Endauswahl hat er sich schließlich gegen Lionel Messi (Argentinien), Luis Valencia (Ecuador), Tranquillo Barnetta (Schweiz), Cristiano Ronaldo (Portugal) und Cesc Fàbregas (Spanien) durchgesetzt.
Auch wenn die deutsche Mannschaft den Weltmeister-Titel verpasst hat, wurden wenigstens zwei Spieler ausgezeichnet. Der Traum der Klinsmann-Elf vom vierten WM-Titel platzte im Halbfinale zwar unglücklich gegen den späteren Weltmeister Italien, aber der Offensivfußball, der tolle Einsatz und die jungen Spieler begeisterten die Massen. "Sie haben sich um Deutschland unendlich verdient gemacht", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das DFB-Team sei vorbildlich aufgetreten. Klose, Ballack, Lahm und Co. haben im ganzen Land für eine super Stimmung gesorgt, die man den Deutschen im Ausland kaum zugetraut hätte. Dort dachte man bislang, dass die Deutschen ein Volk von humorlosen Nörglern seinen. Dieses Bild hat sich nun geändert.
Blick in die Zukunft
Drei Tage nach dem WM-Ende ist Bundestrainer Jürgen Klinsmann zurückgetreten. Zunächst war er als Trainer sehr umstritten, doch nach den begeisternden Spielen der National-Elf während der Weltmeisterschaft hat er unglaublich viele Sympathien gewonnen. Fast jeder deutsche Fußballfan hatte gehofft, dass er weitermacht. Mit seiner jungen Mannschaft hätte er in den kommenden Jahren noch viel erreichen können. Sein ehemaliger Assistent Joachim "Jogi" Löw wird nun versuchen, an den Erfolg seines Vorgängers anzuknüpfen.
Auch dem Schweizer Team mit seinen vielen jungen Talenten wird eine rosige Zukunft vorausgesagt. In der Nati spielen viele Nachwuchskicker, die zum größten Teil noch in den Jugendauswahl-Mannschaften antreten dürften. Diese Spieler konnten während dieser WM viele wertvolle Erfahrungen sammeln. Mit dem, was sie jetzt gelernt haben, könnten sie 2008 bei der Europameisterschaft in der Schweiz und in Österreich sowie bei der WM 2010 in Südafrika ganz groß aufzutrumpfen.
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