von Sofia (16) - 16.06.2014
Hallo, ich heiße Sofia, bin 16 Jahre alt und schreibe ab und zu eine Kolumne für Helles-Koepfchen.de. Eine Kolumne ist ein persönlicher Meinungsbeitrag, also kein redaktioneller Artikel. Ich freue mich auf eure Bewertungen und Rückmeldungen. Wie euch sicher nicht entgangen ist, wehen uns momentan überall die Nationalflaggen entgegen, man sieht aufgeregte Leute mit Bierflaschen in der Hand und Schwarz-Rot-Gold im Gesicht herumrennen und überhaupt scheint die ganze Welt verrückt geworden zu sein - natürlich, es gibt ja auch nichts Wichtigeres als Fuuuußball!
Ob man den Fernseher einschaltet, das Radio oder einfach durch die Stadt läuft, überall Fahnen, WM-Maskottchen, Fans und Nationalspieler, Experten und die ewigen Diskussionen vor und nach den Spielen, wer denn die beste Mannschaft der Welt ist, wer Weltmeister wird und wer nun verdient oder nicht verdient gewonnen oder verloren hat. Puh, für jemanden wie mich, der jetzt nicht mit riesiger Begeisterung den Spielen entgegenfiebert, kann das schon ganz schön nervig sein. Na klar ist es in Ordnung, wenn man gerne Fußball schaut und eine "Lieblingsmannschaft" hat, aber muss man deswegen gleich so einen Wirbel veranstalten, als ob es nichts Bedeutenderes auf dieser Welt gibt?
Was mich daran so nervt, fragt sich jetzt vielleicht der eine oder andere fußballbegeisterte Leser. Also, wo soll ich anfangen? Ich habe nicht grundsätzlich was gegen den Sport und überhaupt, jedem das Seine! Aber: Muss deswegen gleich das ganze Land auf dieser Welle mitschwimmen, grölend, Fahnen schwingend oder Alkohol trinkend durch die Gegend ziehen, dabei gerne auch die "Sau" rauslassen, als ob wir jetzt einen Monat lang Fasching hätten, und mit Selbstverständnis verkünden, dass wir das beste und tollste Land auf der ganzen Welt sind und natürlich die fähigste und sympathischste Mannschaft der Welt hätten? Würden wir das wirklich auch so sehen, wenn wir in einem ganz anderen Teil der Erdkugel auf die Welt gekommen wären? Muss man gleich so aggressiv und emotional werden, weil die "eigene" Mannschaft ein Tor kassiert oder die "falsche" zu gut spielt - während einem andere Themen, die wirklich wichtig wären, total egal sind? Da gibt es Leute (meistens Männer), die eigentlich nie weinen, auch nicht, wenn ihr Hund sterben würde, aber wenn ihre Mannschaft verliert, dann kullern ihnen sentimental die Tränen übers Gesicht. Und wenn der Schiedsrichter angeblich falsch entscheidet, dann bekommen sie einen solchen Wutanfall, dass man fürchten muss, dass sie gleich alles kurz und klein schlagen.
Und dieses ganze "Patriotismus"-Gehabe, also dass man jetzt unbedingt stolz auf das eigene Land sein soll, nervt mich auch. Kann ja sein, dass die Engländer und Franzosen auch so stolz auf ihr Land sind, aber müssen wir sie in diesem Fall unbedingt zum Vorbild nehmen und empört einklagen, dass Deutschland endlich auch wieder "wer sein" darf? Und man endlich die deutsche Geschichte ruhen lassen sollte? Nein, ich bin auch nicht der Meinung, dass man zu jedem Anlass die "Schuld der Deutschen" aus der Vergangenheit herausholen sollte. Und ja, die meisten Menschen, die heute leben, haben den Zweiten Weltkrieg nicht mehr miterlebt. Aber unsere Geschichte ist doch trotzdem wichtig, alle Menschen auf der Welt sollten etwas daraus lernen. Wir sollen uns nicht ewig schuldig fühlen, aber wir sollten die Geschichte auch nicht vergessen oder von dem Thema genervt sein. Was das mit Fußball zu tun hat? Vielleicht nicht viel, aber wenn wir schon mal dabei sind: Ist es unser Verdienst, wenn ein Fußballer, egal welcher Nation, ins Tor trifft oder unsere Verantwortung, wenn er den Elfmeter verschießt? Und ist es unser Verdienst, dass wir in einem Land aufwachsen, in dem wir glücklicherweise nicht von Hunger und Armut betroffen sind? Geht es manchen Menschen auf der Welt nicht gerade deshalb so schlecht, weil andere in so viel Wohlstand leben und wird sich in der Wirtschaft nicht allzu oft auf Kosten der Armen bereichert? Sollen wir darauf jetzt auch stolz sein?
Nicht umsonst sagt man oft, Fußball sei "Opium fürs Volk", eine Art "Ersatzkrieg". Unterhaltung für die Massen, die auch die "niederen" Instinkte anspricht. Es ist kein Zufall, dass die Politiker gerne zu WM-Zeiten fragwürdige Entscheidungen durchwinken, die normalerweise von großem Protest begleitet werden müssten - aber zur WM interessiert sich eben keiner dafür. Die Menschen schwimmen alle auf einer Welle, schalten dabei gerne ihren Verstand aus und fühlen sich, als ob sie selbst gesiegt hätten, wenn ihr Land oder ihre Mannschaft gewinnt. Es stimmt natürlich, wer patriotisch (also stolz auf sein Land) ist, ist nicht gleich "rechts". Aber man darf nicht vergessen, dass gerade unter den Fußballfans und in bestimmten Mannschaften die rechte Szene teilweise sehr verbreitet ist, Fußball ist also nicht selten auch ein "Auffangbecken" für rechtsradikale und aggressive Gesinnungen, und wen wundert's? Es geht um die "Besseren", die bessere Mannschaft, die bessere Nation, um Feindbilder, um Sieg und Niederlage. Erinnert das nicht an etwas, das eigentlich gar nicht so ehrenhaft ist?
Also, ich finde, man kann sich ruhig entspannt die WM-Spiele ansehen und auch ein bisschen mitfiebern, aber sollte man sich nicht auch freuen können, wenn die bessere Mannschaft gewinnt, selbst wenn es nicht die eigene Nation ist? Und muss man einem Sport so viel Bedeutung geben, dass die Frage nach Sieg oder Niederlage wichtiger wird als zum Beispiel ein Bericht über Armut, Krieg, Hunger oder Katastrophen - oder dass es vielleicht einem Menschen direkt vor unseren Augen schlecht geht? Sollten wir Sport nicht auf eine ganz andere Weise konsumieren und genießen? Als eine ganz nette Unterhaltung, bei der auch Fairness im Vordergrund steht und das, was alle Menschen auf der Welt verbindet? So könnte es vielleicht sogar mir Spaß machen, das eine oder andere Spiel zu sehen ;) .
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