von Tanja Lindauer - 05.12.2011
Die deutsche Schriftstellerin Christa Wolf ist am 1. Dezember 2011 im Alter von 82 Jahren gestorben. Sie war eine der wichtigsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. In ihren Werken geht es oftmals um den Nationalsozialismus, um Befreiung und Selbstbestimmung, Geschlechterrollen, die Kritik an der Gesellschaft sowie um die menschliche Identität. In ihren Romanen lassen sich dabei auch autobiografische Züge, also eine literarische Verarbeitung ihrer eigenen Erlebnisse, erkennen.
Die Schriftstellerin wurde als Christa Ihlenfeld am 18. März 1929 in Landsberg/ Warthe, dem heutigen Gorzów Wielkopolski in Polen, geboren. Sie kam als Tochter der Kaufleute Otto und Hertha Ihlenfeld, die ein Lebensmittelgeschäft betrieben, zur Welt. In Landsberg besuchte sie auch bis kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges die Schule. 1945 wurde sie mit ihrer Familie aber von sowjetischen Truppen vertrieben. In Mecklenburg fand Familie Ihlenfeld ein neues Zuhause. Vier Jahre später beendete sie die Oberschule in Bad Frankenhausen und erhielt ihr Abitur.
Schon früh interessierte sich Christa für Politik und so trat sie 1949 der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (kurz SED) bei, die nach der Teilung Deutschlands in der sowjetischen Besatzungszone gegründet worden war. Christa Wolf war von den kommunistischen Idealen der DDR zunächst überzeugt. Sie blieb sogar bis 1989, dem Jahr des Mauerfalls, Mitglied der SED. Nach dem Abitur entschloss sie sich, Germanistik in Leipzig und Jena zu studieren. Bereits 1953, im Alter von 24 Jahren, schrieb die junge Christa Wolf ihre Diplomarbeit über den deutschen Autor Hans Fallada.
1951 heiratete sie den Schriftsteller Gerhard Wolf und ein Jahr später wurde ihre Tochter Annette geboren. Katrin, ihre kleinere Schwester, kam vier Jahre später zur Welt. Christa Wolf war von 1955 an beim deutschen Schriftsteller-Verband der DDR Mitglied des Vorstandes und arbeitete in dieser Zeit auch noch als Cheflektorin bei dem Verlag "Neues Leben" in Berlin - sie beurteilte, bearbeitete und korrigierte also vorgelegte Texte. Zudem war sie 1958 und 1959 als Redakteurin für die Zeitschrift "Neue Deutsche Literatur" tätig.
Christa Wolf wird Autorin
1961 schrieb Wolf ihren ersten literarischen Text, eine Novelle: In der "Moskauer Novelle" erzählt sie die Geschichte einer Ostberliner Ärztin, die sich in einen russischen Dolmetscher verliebt. Ein Jahr später wurde die Schriftstellerin beim Mitteldeutschen Verlag als Lektorin angestellt. Bald darauf entschied Christa Wolf aber, sich hauptberuflich ihrer Leidenschaft fürs Schreiben zu widmen und als freie Autorin zu arbeiten. In der Zeit von 1962 bis 1976 lebte sie im beschaulichen Kleinmachnow in Brandenburg.
Christa Wolf sprach sich 1976 gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR aus. Dem Musiker, der auf Tournee in Westdeutschland war, warf der Staat vor, dass er sich gegen die DDR gerichtet und seine "staatsbürgerlichen Pflichten" verletzt habe. Daraufhin wurde Christa Wolf aus dem deutschen Schriftstellerverband ausgeschlossen. In ihren ersten Werken war Wolf noch von der DDR-Politik überzeugt, und so verwundert es auch nicht, dass sie in ihrem Land zunächst als staatstreu und "wertvoll" für die DDR angesehen wurde.
Die Menschen in den sozialistischen Ländern wie der DDR waren aber sehr unfrei. Sie durften zum Beispiel nur bestimmte Zeitungen und Bücher lesen oder Radio- und Fernsehsender empfangen. Sie wurden vom Staat überwacht und bespitzelt, um Feinde des Systems ausfindig zu machen und auszuschalten. Von der Staatssicherheit (abgekürzt Stasi) wurden viele Menschen beobachtet, verhaftet und sogar gefoltert. In Christa Wolfs Roman "Der geteilte Himmel", den sie 1963 veröffentlichte und in dem sie die Teilung Deutschlands beschreibt, ändert sich der Ton schon etwas und man kann eine erste Kritik am System der DDR erkennen. In dem Roman wird die Liebe zwischen einer Studentin und einem Chemiker beschrieben, die aber wegen der Teilung Deutschlands scheitert. Für diesen Roman wurde der Autorin der Heinrich-Mann-Preis verliehen, und schon ein Jahr später wurde das Buch verfilmt. Mit diesem Roman schaffte es Wolf auch, jenseits der Grenzen der DDR bekannt zu werden.
Ein großes literarisches Vermächtnis
1976 entschloss sich die Schriftstellerin, nach Ostberlin zu ziehen. Christa Wolf war nun eine angesehene Autorin und so wurde sie 1974 in die Akademie der Künste in der DDR aufgenommen - und 1981 auch in die Akademie in West-Berlin. Zudem wurde sie 1984 Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Paris. Weiterhin erhielt die erfolgreiche deutsche Schriftstellerin 1980 den Georg-Büchner-Preis, einen wichtigen Preis in der Literatur, und wurde 1987 mit dem Nationalpreis I. Klasse der DDR ausgezeichnet. Nach dem Mauerfall war es vor allem Wolfs Werk "Was bleibt" von 1990, das für hitzige Diskussionen sorgte und einen "Literaturstreit" entfachte.
Christa Wolf schrieb bis ins hohe Alter bedeutende Werke - so erschien etwa 1968 ihr Buch "Nachdenken über Christa T.", 1983 "Kassandra" und 1996 "Medea", das wie schon "Kassandra" auf die griechische Mythologie zurückgreift von einer Figur der antiken Sagenwelt handelt. 2003 erschien ein weiteres sehr interessantes Buch mit dem Titel "Ein Tag im Jahr". Darin schildert Christa Wolf, was sie in den letzten zehn Jahren am 27. September gemacht hat. Ihr letzter Roman erschien 2010 unter dem Titel "Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud". Wolf wurde zu Lebzeiten mit vielen wichtigen Auszeichnungen geehrt, 2002 erhielt sie den Deutschen Bücherpreis für ihr Lebenswerk. Die Jury lobte sie, da sie sich "mutig in die großen Debatten der DDR und des wiedervereinigten Deutschland eingemischt" habe. Bis zum Schluss war sie auch immer eine Anwärterin auf den Nobelpreis für Literatur.
"Was bleibt": Der Literaturstreit
In Wolfs Erzählung "Was bleibt" wird der Alltag einer Schriftstellerin aus Ostberlin, die von der Staatssicherheit beobachtet wird, beschrieben. Sie steht unter ständiger Beobachtung und auch ihre Wohnung wird immer wieder durchsucht. Dabei hinterlassen die Sicherheitsbeamten stets Spuren, um der Schriftstellerin zu zeigen, dass sie überwacht wird. Zudem wird ihr Telefon abgehört und auch Gespräche in der Wohnung werden belauscht. Die Frau hat natürlich Angst und leidet unter Schlaflosigkeit. Eines Tages sind bei einer ihrer Lesungen viele Spitzel anwesend - auch die Zuhörer wissen das, aber dennoch werden ungemütliche und mutige Fragen gestellt. Der Schriftstellerin werden mit diesen Fragen die Augen geöffnet. Viele junge Autoren möchten nicht schweigen, sie möchten auf die Ungerechtigkeiten in ihrem Staat, der DDR, aufmerksam machen.
Bereits 1979 verfasste die Autorin die Erzählung "Was bleibt", aber erst 1990 erschien sie. Das wurde Christa Wolf später auch oft vorgeworfen. Erst nachdem die DDR nicht mehr existierte, entschloss sie sich, das Buch zu veröffentlichen. Hatte sie etwa Angst, verhaftet zu werden? Viele Kritiker waren der Meinung, dass bekannte Schriftsteller die Pflicht hätten, auf die Missstände in einem Staat aufmerksam zu machen. Christa Wolf aber veröffentlichte ihre Geschichte erst, als es den Staat schon nicht mehr gab. Wollte sie so etwa die bevorzugte Behandlung, die sie teilweise erfuhr, nicht aufs Spiel setzen?
In der Bundesrepublik hatte man natürlich leicht reden, dort herrschte keine sozialistische Zwangsherrschaft. Kann man verlangen, dass jemand zugunsten von Recht und Gerechtigkeit sich selbst in Gefahr bringt? Es wurde viel darüber diskutiert. Christa Wolf wurde als DDR-Staatsdichterin beschimpft, auch deshalb, weil sie nach dem Fall der Mauer keine Wiedervereinigung mit der BRD wollte. Doch trotz des Streites um ihre Person und der Diskussion darüber, was ein Schriftsteller in einem Unrechtsstaat zu tun habe, wurde ihr 1990 die Ehrendoktorwürde der Universität Hildesheim verliehen.
Christa Wolf und die Stasi
Im Jahr 1993 gestand die Autorin, dass sie als IM Margarethe, als inoffizielle Mitarbeiterin, bei der Stasi gelistet war. Das bedeutet, sie musste der Stasi Berichte abliefern. Diese waren aber wohl sehr langweilig gewesen und enthielten keine wichtigen Informationen über andere Menschen oder Verbindungen, sodass Christa Wolf nur von 1959 bis 1962 für die Stasi tätig war. Allerdings war nun die Stasi auf sie aufmerksam geworden und beobachtete sie bis zum Ende der DDR. Aber die Schriftstellerin blieb dennoch im Land.
Viele Jahre später, 2010, wurde sie einmal gefragt, warum sie die DDR nicht verlassen hatte. Christa Wolf antwortete, dass ihre Leser sie gebraucht hätten. Sie veröffentlichte die Akte, die ihre Berichte für die Stasi enthielten, 1993 unter dem Titel "Akteneinsicht Christa Wolf", um so auch die Vorwürfe, die man gegen sie erhob, zu widerlegen. Die Kritik an ihr traf sie hart und so entschloss sie, einige Zeit in den USA zu leben. Der Streit hatte sichtliche Spuren hinterlassen und Christa Wolf war seelisch und körperlich angeschlagen.
Man kann sich vorstellen, dass der Literaturstreit um ihre Person noch mehr angeheizt wurde, weil man nun wusste, dass sie für die Stasi gearbeitet hatte. Dass sie überhaupt keine wichtigen Informationen weitergab und niemanden "anschwärzte", wurde in den Diskussionen wenig beachtet. Einige Kritiker kamen sogar zu dem Schluss, dass die Autorin nicht glaubwürdig sei. Immerhin habe sie ja verschwiegen, dass sie für die Stasi gearbeitet hatte. Ihre Bücher seien daher auch weniger wert und keine so große "kulturelle Errungenschaft", wie bisher angenommen. Nun meldeten sich aber auch andere bekannte Autoren zu Wort - so etwa Günter Grass oder Walter Jens, die ihre Schriftstellerkollegin verteidigten. Unabhängig davon, ob sie sich richtig verhalten habe, seien ihre Werke nach wie vor herausragend und bedeutend für die deutsche Literatur, so lauteten ihre Worte.
"Nachdenken über Christa T.": DDR-Zensur
Es ist natürlich auch leicht, über jemanden zu urteilen, ohne etwas Genaueres über die möglicherweise sehr schwierige Situation der Person zu wissen. In der DDR führte Christa Wolf keinesfalls ein so leichtes Leben. 1968 erschien ihr Buch "Nachdenken über Christa T.", das auch nur nach einer Zensur veröffentlicht werden durfte - es wurden also Teile entfernt oder verändert. Schon damals geriet sie bei ihren Schriftstellerkollegen in die Kritik, denn sie ging noch einen Schritt weiter als in "Der geteilte Himmel".
Christa T. stirbt als junge Frau an Leukämie und die Erzählerin versucht, den Tod ihrer Freundin zu verarbeiten, indem sie Aufzeichnungen der Freundin und ihre eigenen Erinnerungen niederschreibt. Eine Zeit lang verlieren sich die beiden Freundinnen aus den Augen und sie finden sich wieder, als die DDR gegründet wird. Doch über diesen Staat haben sie geteilte Ansichten. Christa T. ist überzeugt von dem sozialistischen System und hofft, dass sie sich selbst verwirklichen und ihren Wissensdurst stillen kann. Doch schon hier zeichnet sich ab, dass Christas Vorhaben scheitern muss.
Denn die DDR will keine Bürger, die selbst denken und unabhängig handeln, sie sollen vielmehr in einer Gemeinschaft funktionieren. Gehorsamkeit und Anpassung sind gefragt, nicht eigenständiges Denken und Handeln. Als Christa T. das erkennt, zieht sie aufs Land und will sich ein Haus bauen, als Zeichen ihrer Selbstverwirklichung. Doch das Haus wird niemals fertig. Solch ein Buch war in der DDR natürlich nicht gern gesehen und Christa Wolf wurde daher argwöhnisch beobachtet. Ihre Situation verbesserte sich auch nicht mit der Veröffentlichung ihres Werkes "Kassandra" im Jahr 1983.
"Kassandra": Wenn die Wahrheit niemand glaubt
Die griechische Kassandra, Tochter des trojanischen Königs Priamos, erhält von Gott Apollon ein wertvolles Geschenk. Denn Apollon hegt Gefühle für Kassandra, und so verleiht er ihr die Fähigkeit, Dinge vorherzusagen. Kassandra aber möchte von Apollon nichts wissen und zeigt sich ihm gegenüber nicht dankbar. Apollon wird zornig über ihr Verhalten, und da er das Geschenk nicht wieder zurücknehmen kann, belegt er sie mit einem Fluch. Alles, was sie vorhersagt, wird ihr kein Mensch glauben. Sie wird als Lügnerin beschimpft.
Als Kassandra den Untergang der Stadt Troja voraussagt, glaubt ihr wieder niemand. Sie warnt vor einem großen Pferd aus Holz, das vor ihren Toren abgestellt werden wird. Niemand solle es in die Stadt bringen. Doch die Worte der Seherin werden ignoriert und das Pferd wird in die Stadt gezogen. Darin versteckt sind griechische Krieger - auf diese Weise erobern sie die Stadt Troja und nehmen Kassandra mit nach Mykene zum König Agamemnon. Kassandra weiß, dass sie getötet werden soll. Sie denkt zurück an ihre Zeit in Troja, als sie versucht hat, ihr Leben selbst zu bestimmen. Die tragische Figur wollte von keinem Mann abhängig sein und wurde zu einer Außenseiterin.
Christa Wolf beschrieb Troja als einen Sicherheits- und Überwachungsstaat und man kann sich leicht vorstellen, dass ihr bei vielen Beschreibungen die Zustände in der DDR vorschwebten. Als das Werk "Kassandra" erschien, fand ein atomares Wettrüsten zwischen dem Westen und dem Osten statt, es war die Zeit des Kalten Krieges. Die Autorin wollte aufzeigen, dass in einem Krieg auch nicht mehr zwischen Gut und Böse unterschieden werden kann. Es gibt nicht die "guten" Trojaner und die "bösen" Griechen. Und auch die DDR, die alles Übel im Westen sah, war alles andere als nur gut. 1983 erschien der Roman - die Autorin stand erneut unter Beobachtung und der Druck wuchs. Im selben Jahr brannte auch ihr Haus ab. Christa Wolf selbst sagte einmal über den Roman: "Ich wartete gespannt, ob sie es wagen würden, die Botschaft der Erzählung zu verstehen, nämlich dass Troja untergehen muss. Sie haben es nicht gewagt und die Erzählung ungekürzt gedruckt. Die Leser in der DDR verstanden sie."
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letzte Aktualisierung: 12.03.2012
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