von Christoph Hühnergarth - 10.11.2009
Mehr als 10.000 Beschäftigte des traditionsreichen deutschen Autoherstellers Opel trieb es zu wütenden Protesten vor das größte Opelwerk im hessischen Rüsselsheim, nachdem der amerikanische Konzern "General Motors" (abgekürzt "GM") am 3. November 2009 überraschend bekannt gegeben hatte, das Tochterunternehmen Opel nun doch behalten zu wollen. Was sind die Hintergründe?
Ursprünglich sollte Opel an die österreichisch-kanadische Firma Magna und die russische Bank Sberbank verkauft werden, weil der US-Konzern General Motors, dem Opel bereits seit 1929 angehört, finanziell stark angeschlagen ist. Der von 1931 bis 2007 weltgrößte Autobauer GM meldete sich am 1. Juni 2009 insolvent - das bedeutet zahlungsunfähig oder schlicht "pleite".
Um den Bankrott eines der bedeutendsten Unternehmen der amerikanischen Wirtschaft zu verhindern, die weltweit fast 250.000 Arbeitsplätze bei GM zu sichern und die andauernde weltweite Wirtschaftskrise durch den Konkurs des achtzehntgrößten Unternehmens der Welt nicht noch zu verstärken, schritt die US-Regierung unter Präsident Barack Obama ein: Mit Finanzspritzen in Milliardenhöhe wurde GM "teilverstaatlicht". Das bedeutet, dass GM nun zu mehr als 70 Prozent den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada gehört.
Zwar war der Fortbestand von GM vorerst gerettet, doch nun ist der Konzern gezwungen zu sparen, wo es nur geht. Deshalb kündigte der von der US-Regierung neu eingesetzte GM-Vorstand an, das Unternehmen neu zu strukturieren: Zehntausende Arbeitsplätze könnten bei den GM-Tochterunternehmen in Gefahr sein, hieß es. Auch die Opelwerke in Deutschland (Rüsselsheim, Bochum, Eisenach und Kaiserslautern) könnten von zahlreichen Entlassungen betroffen sein. Der Europa-Chef von General Motors, Carl-Peter Forster, machte kurz nach der Rettung durch das Eingreifen der US-Regierung klar, dass es "harte Einschnitte" geben werde.
Zunächst Aussicht auf "Rettung" für Opel
Die Aussichten für Opel schienen sich jedoch zu bessern, als der österreichisch-kanadische Automobilzulieferer Magna zusammen mit der russischen Bank Sberbank GM ein Angebot zum Kauf von Opel vorlegte. Auch die deutsche Bundesregierung unterstützte das Konzept von Magna und gewährte Opel zwischenzeitlich einen Überbrückungskredit in Milliardenhöhe. Von der Übernahme durch Magna und Sberbank erhofften sich die Bundesregierung, der Opel-Vorstand sowie die Opel-Beschäftigten größere Chancen auf den Erhalt der rund 25.000 Arbeitsplätze bei Opel in Deutschland. Kanzlerin Angela Merkel sprach sich öffentlich immer wieder für Magna und gegen GM als zukünftigen Partner von Opel aus.
Am 13. August 2009 einigte sich Magna mit GM auf einen Vertrag zur Übernahme von Opel. Kritik an dem vermeintlichen Geschäft zwischen General Motors und Magna kam allerdings aus Großbritannien, Belgien und Spanien. Diese drei Staaten mit eigenen Opel-Fabriken (in Ellesmere Port und Luton in England, Antwerpen in Belgien und Saragossa in Spanien) äußerten Bedenken, dass durch diese Lösung die deutschen Standorte in Rüsselsheim, Bochum, Eisenach und Kaiserslautern begünstigt würden, während in den nicht-deutschen Opel-Fabriken Personal abgebaut werden würde oder Standorte sogar komplett geschlossen werden könnten.
Plötzlicher Rückzieher von General Motors
Als die deutschlandweit befürwortete Übernahme durch Magna für Opel so gut wie sicher schien, sorgte der GM-Vorstand im amerikanischen Detroit vor einigen Tagen für einen Paukenschlag: General Motors lässt das Abkommen mit Magna platzen und will Opel selbst behalten. Aus Sicht von General Motors sei das europäische Tochterunternehmen Opel nun doch wichtig für die "globale Strategie" des Unternehmens.
Der Verkauf von GM-Autos in den USA war im Oktober zum ersten Mal seit 21 Monaten wieder gestiegen. 177.000 Fahrzeuge mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum seien verkauft worden, teilte GM mit. Nach einem monatelangen Abwärtstrend sei das Schlimmste überstanden. Um zukünftig international wieder wettbewerbsfähig zu sein, wolle man Opel behalten. Zurückzuführen ist der Zuwachs bei GM auch auf das amerikanische Programm "Cash for Clunkers" (übersetzt: "Bares für Klapperkisten"), die US-Version der deutschen "Abwrackprämie".
Laut Fritz Henderson, dem amtierenden GM-Vorstandschef, ist die Entscheidung gegen den Verkauf von Opel im 13-köpfigen Verwaltungsrat von GM einstimmig gefallen. GM wolle sich aus dem europäischen Geschäft nicht zurückziehen. Vielmehr plane man, drei Milliarden Euro bereitzustellen, um Opel voran zu bringen. Gleichzeitig, so sagt Henderson, hoffe man, dass die deutsche Bundesregierung Opel weiterhin finanziell, zum Beispiel als Bürge, unterstütze. Kanzlerin Angela Merkel hatte nämlich, als sich die Opel-Übernahme durch Magna abgezeichnet hatte, angekündigt, dass Deutschland als Bürge beiseite stehen würde, falls Opel selbst zahlungsunfähig werden würde. So müssten die Opel-Mitarbeiter zum Beispiel nicht um ihre Gehälter bangen, falls Opel - im schlimmsten Falle - doch pleite gehen würde. GM möchte nun natürlich Merkels Bürgschaft gerne selbst einstecken - und hofft, dass Merkel zu ihrem Wort steht, obwohl GM das geplante Geschäft mit Magna platzen ließ.
Zahlreiche Arbeitsplätze bei Opel in Gefahr?
Die Opel-Beschäftigten (auch "Opelaner" genannt), der Opel-Vorstand und die Bundesregierung wollten eine Zukunft mit Magna. Doch nun trifft sie der Rückzieher von GM hart. Weil General Motors weiterhin auf einem radikalen Sparkurs ist, befürchten die Opel-Beschäftigten, dass eine Vielzahl ihrer Arbeitsplätze in Gefahr ist. Bereits einen Tag nachdem die Entscheidung verkündet wurde, teilte GM den deutschen Opel-Arbeitnehmern mit, dass sie sich auf Einschränkungen und Kompromisse einlassen werden müssen. Doch was genau GM für Opel vorsieht, ist noch ungewiss.
Opel-Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz reagierte auf die Meldung aus den USA gereizt: "Wir wollen kein Anhängsel sein, das von Detroit aus durchregiert wird". Nun sei "der alte GM-Plan wieder auf dem Tisch", was bedeute, dass die deutschen Werke "akut gefährdet" seien.
Die Opel-Belegschaft lässt ihrer Wut freien Lauf: Die 25.000 Beschäftigten reagierten mit Streiks und Massenprotesten auf den Rückzieher von GM. Auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch kritisierte die Entscheidung von General Motors: Nun seien die Verhandlungen um die Zukunft von Opel wieder ganz am Anfang, so weit wie vor zwei Jahren.
Niederlage für Merkel und die Bundesregierung
Der Bundesregierung um Angela Merkel werfen Kritiker nun mangelndes Durchsetzungsvermögen vor, weil das Magna-Geschäft doch nicht zustande gekommen ist. Sie sind außerdem der Meinung, dass die zu frühe Festlegung auf Magna als vermutlicher Opel-Käufer schlecht für die weitere Verhandlungsposition gewesen sei. Letztendlich habe GM mit der deutschen Führungsspitze ein "Katz-und-Maus-Spiel" veranstaltet, die Politiker wären nach allen Regeln der Kunst vorgeführt worden. Diese seien so mit ihrem Wahlkampf beschäftigt gewesen, dass sie die Strategie von GM nicht durchschaut hätten.
Der Opel-Betriebsrat hofft, dass der Bund seine zugesagte Staatshilfe auch an General Motors zahlt und Opel weiterhin als Bürge beisteht - genau so, wie Merkel es im Falle der Magna-Übernahme angekündigt hatte. Möglicherweise hatte es GM von Anfang an genau darauf abgesehen. Laut Opel-Betriebsratchef Franz müsse Deutschland aber aufpassen, sich von General Motors nicht erpressen zu lassen: Er befürchte, dass der nächste Schritt von GM sein werde, "Regierungen und Beschäftigte in Europa zu erpressen, um das bekannte, nicht tragfähige GM-Konzept zu finanzieren". Damit meint er zum Beispiel, dass Beschäftigte weniger Lohn erhalten sollen - falls sich der Betriebsrat aber dagegen wehrt, mit der Schließung des ganzen Werkes gedroht werden könnte.
Der Zeitpunkt des Rückziehers von General Motors dürfte Merkel besonders verärgert haben, denn nur wenige Stunden vorher traf sie sich mit US-Präsident Barack Obama in der US-Hauptstadt Washington. Als erster deutscher Regierungschef nach Konrad Adenauer durfte die Kanzlerin sogar eine Rede vor dem amerikanischen Parlament halten. Darin beschwor sie die "deutsch-amerikanische Freundschaft", die - zumindest in Sachen Wirtschaftsbeziehungen - nun auf eine harte Probe gestellt wird. Während des Treffens mit Obama verlor dieser kein Wort über das bevorstehende Scheitern des Magna-Geschäfts. Angeblich wusste er auch nichts davon, hieß es später.
Harte Verhandlungen von General Motors angekündigt
Das Bundeswirtschaftsministerium und die Landesregierungen kündigten nun an, mit General Motors hart über deutsche Staatshilfen und Bürgschaften für Opel verhandeln zu wollen. Man werde "besonnen anfangen", mit GM über Kompromisse zu diskutieren und sich nicht beirren lassen, sagte Hessens Ministerpräsident Roland Koch: "Die Amerikaner dürfen nicht glauben, dass sie Deutschland in irgendeiner Form erpressen können".
Doch nicht nur die Beteiligten bei Opel reagieren kritisch auf die Entscheidung von GM. Auch Europachef Forster hat die Entscheidung, Opel nicht an Magna zu verkaufen, scharf kritisiert. Während Forster noch vor einiger Zeit von "harten Einschnitten" sprach, auf die sich die Opel-Beschäftigten einstellen müssten, sagte er nun: "Ich hätte mir gewünscht, dass es zu einem ganz anderen Ergebnis kommt". Forster zog Konsequenzen und trat von seinem Amt als Europachef von General Motors zurück.
Ob die Übernahme von Opel durch Magna tatsächlich so viel besser für die Opelaner gewesen wäre, ist fraglich: Auch Magna hatte einen Jobabbau bei Opel nie ausgeschlossen. Trotzdem befürchten die Opel-Mitarbeiter, dass GM wesentlich härtere Einsparungen beim deutschen Autobauer vornehmen wird, als es Magna getan hätte.
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