von Sebastian Schwalbach
Es ist später Mittwochabend Ende Juli und schon dunkel, als wir über die Grenze nach Rumänien fahren. Obwohl das Land am 1. Januar 2007 der Europäischen Union beigetreten ist, sind die Grenzkontrollen schärfer als in Ungarn. Bewaffnete Polizisten winken uns grimmig über die Grenze. Sobald ich diese überquere, spüre ich, dass ich in einem völlig anderen Land bin...
Der Bus wird zunächst kräftig durchgeschüttelt und muss mehreren Schlaglöchern ausweichen. Die meisten Straßen in Rumänien sind immer noch in einem sehr schlechten Zustand. Auch die großen Supermärkte muss man in Rumänien genauer suchen. In den Dörfern gibt es viele kleine "Tante-Emma Läden", in denen die Menschen ihre täglichen Besorgungen machen und gerne miteinander plaudern.
Schon am nächsten Morgen muss ich feststellen, dass in Rumänien Kutschen und Pferdefuhrwerke nicht für den Transport von Touristen genutzt werden. Immer wieder sehe ich Bauern, die damit ihre Ernte einfahren. Ich treffe auch auf einen "fliegenden Pfannen-Händler" - das sind Menschen, die mit ihrer Kutsche durch das Land reisen, um ihre Waren zu verkaufen. Als er mir seine Pfannen präsentiert, lehne ich freundlich ab - schließlich bin ich auf Rundreise und habe keine Zeit zu kochen.
In Rumänien bleibe ich zunächst in einer Kleinstadt in der Nähe der ungarischen Grenze. Diese Stadt heißt Sankt Anna und hier leben etwa 13.000 Menschen. Du kannst sie dir vorstellen wie Europa im "Miniformat", denn hier leben viele verschiedene Bevölkerungsgruppen wie Rumänen, Ungarn, Deutsche, Bulgaren und Roma zusammen. Vor allem die Gruppe der Roma interessiert mich. In Deutschland und einigen anderen Ländern begegnen sie immer noch vielen Vorurteilen, und ich möchte mehr über sie erfahren.
Freundliche Menschen im ärmlichen "Zigeuner-Viertel"
Es ist jedoch zunächst etwas schwierig, mit der Gruppe der Roma in Kontakt zu treten. Auch in Sankt Anna und anderen Teilen Rumäniens gibt es Menschen, die den "Zigeunern" - wie sie oft genannt werden - mit Vorurteilen gegenübertreten. Sie raten mir, lieber nicht in das so genannte "Zigeunerviertel" zu gehen. Dort wolle man nur mein Geld, ich solle aufpassen, dass ich nicht beklaut werde. Der Begriff "Zigeuner" geht vermutlich auf das griechische Wort "atsínganoi" zurück, das so viel wie "Unberührbare" heißt und somit als abfällige Äußerung verstanden werden kann. Deshalb verwenden viele Menschen lieber die Bezeichnung "Roma".
Die meisten Roma leben am Ende der Stadt in einem eigenen Viertel. Je weiter man hier an den Rand des Viertels kommt, desto ärmer werden die Verhältnisse der Menschen. Manche Häuser haben keinen Anschluss an das Stromnetz. Viele Roma müssen sich Wasser aus einem Brunnen an der Straße holen, da sie keinen Wasseranschluss haben. Ich begegne in diesem Viertel ausschließlich freundlichen Menschen. Trotz der Armut, die hier herrscht, haben die meisten Menschen ein Lächeln auf ihrem Gesicht.
Ich treffe den Familienvater Pedro, der auch der Gruppe der Roma angehört. Er empfängt mich freundlich und lädt mich zum Mittagessen ein. Stolz zeigt er mir sein Haus, das sich noch im Bau befindet. Es gibt nicht genügend Stühle, also stellen wir den Tisch vor ein Bett, damit die beiden Kinder Pedros darauf sitzend auch mitessen können. Während wir nach dem Essen gemeinsam stundenlang Bilderalben der Familie anschauen, denke ich darüber nach, dass ich gerade die beste gefüllte Paprika meines Lebens gegessen habe und dass die Menschen doch endlich aufhören sollten, Vorurteile gegenüber andere zu haben. So viel Freundlichkeit wie Pedro und seine Familie mir an diesem Tag schenken, ist mir selten begegnet.
Eine Reise in die Vergangenheit...
Über die Aufgabe von Pferdefuhrwerken in Rumänien habe ich dir bereits berichtet. Eigentlich werden sie hier ausschließlich für den Transport von Waren genutzt, doch wie so oft in Rumänien, gibt es auch hier eine erfreuliche Ausnahme. Ich befinde mich gemeinsam mit einer Gruppe auf dem Rückweg von einem großen Viehmarkt, als wir zunächst entsetzt feststellen, dass kein Zug mehr fährt. In Rumänien ist der Zug- und Busverkehr vor allem in der Ferienzeit eingeschränkt. Oft fahren die Züge hier nur am Morgen. Wir stellen uns bereits auf eine mehrstündige Wanderung durch die Mittagshitze ein, als von weitem unsere Rettung naht.
Zwei Pferdefuhrwerke, beladen mit riesigen Baumstämmen, die auf dem Weg in unsere Stadt sind, um dort am nächsten Morgen auf dem Markt ihre Waren zu verkaufen. Die Kutscher erlauben uns, aufzuspringen. Vielleicht kannst du dir vorstellen, wie glücklich wir sind, dass uns der Fußmarsch erspart bleibt. Die Fahrt dauert fast zwei Stunden. Man hat das Gefühl, durch ein Land zu fahren, in dem die Zeit stehen geblieben ist. Es geht endlos entlang der Felder, nur selten werden wir von einem Auto überholt.
Nur wenn wir diese Autos erblicken, wird uns bewusst, dass die Zeit nicht zurückgedreht wird, sondern dass in Rumänien Vergangenheit und Zukunft einfach enger miteinander verbunden sind als in Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Für die Menschen in Rumänien ist es sehr wichtig, ihre Traditionen und ihre Kultur zu pflegen und zu erhalten. Dem Land und den Menschen würde etwas fehlen, wenn plötzlich keine Pferdefuhrwerke durch die Straßen fahren würden oder wenn die kleinen "Tante-Emma Läden" in den Dörfern verschwinden würden. Hinzu kommt natürlich, dass viele Menschen in Rumänien in viel einfacheren Verhältnissen leben und die Armut deutlich größer ist als in vielen anderen EU-Ländern.
Du hast jetzt viel über die Landschaft und die Situation der Menschen in Ungarn und Rumänien erfahren. Im nächsten Artikel wirst du die Menschen aus der Region näher kennen lernen. Maskenschnitzer Englert wird dir erzählen, weshalb sein Beruf so außergewöhnlich und einzigartig ist. Lehrerin Melanie gibt dir einen Eindruck von ihrem Leben in Rumänien.
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