von Björn Pawlak - aktualisiert - 16.10.2012
Der Welthungertag am 16. Oktober erinnert jährlich daran, dass nahezu eine Milliarde Menschen von Hunger betroffen sind - darunter besonders viele Kinder. Wenn es um das Thema Hunger geht, hört man immer wieder das Argument, dass auf der Welt zu viele Menschen leben. "Überbevölkerung" spielt zwar eine Rolle, trifft aber nicht den Kern des Problems, denn theoretisch könnten weltweit genügend Lebensmittel produziert werden. 8,8 Millionen Menschen - darunter hauptsächlich Kinder - sterben pro Jahr aufgrund von Hunger. Warum ist das so und welche Maßnahmen könnten getroffen werden, um an dieser Situation etwas zu ändern?
Jedes Jahr erscheint ein aktueller "Welthunger-Index" - erstellt wird er von einer Einrichtung namens "Internationales Forschungsinstitut für Ernährungspolitik" (auf Englisch "International Food Policy Research Institute") und den Hilfsorganisationen "Welthungerhilfe" und "Concern Worldwide".
Der Welthunger-Index vergleicht jährlich den Anteil unterernährter Menschen, die Zahl untergewichtiger Kinder und die Kindersterblichkeit. Aktuell geht man von nahezu einer Milliarde hungernden Menschen in der Welt aus. In 29 Ländern schätzt man die Hungersituation als "sehr ernst" oder sogar als "gravierend" ein. Statistisch gesehen stirbt dem Index zufolge alle 15 Sekunden ein Kind an den Folgen von Unterernährung. Zum Vergleich: Pro Sekunde werden etwa drei Menschen geboren.
Besonders betroffen ist der afrikanische Kontinent, allen voran die Demokratische Republik Kongo, Burundi, Eritrea und der Tschad - hier wird die Lage als "gravierend" bezeichnet. Außerhalb Afrikas ist die Lage in Haiti und im Jemen besonders katastrophal. Im bevölkerungsreichen Asien leben die meisten vom Hunger betroffenen Menschen - in Afrika hingegen ist der Bevölkerungsanteil der an Hunger Leidenden am höchsten. Weltweit sind auf dem Land drei Mal mehr Menschen von Hunger betroffen als in der Stadt. Eine Folge davon ist eine überall zu beobachtende "Landflucht" - damit ist das Verlassen ländlicher Gebiete und ein Bevölkerungszuwachs in Städten gemeint - und die Entstehung von städtischen "Elendsquartieren".
Kleinkinder sind innerhalb der Bevölkerung besonders stark vom Hungertod oder von langfristigen gesundheitlichen Schäden bedroht. Man spricht von den entscheidenden "ersten tausend Tagen" eines Menschenlebens - Unterernährung zu dieser Zeit führt meist zu nicht mehr gut zu machenden Schäden und zu Störungen in der körperlichen und geistigen Entwicklung.
Was sind die Ursachen für den Welthunger?
Hunger ist kein Phänomen, welches plötzlich auf der Welt erschienen ist. Schon immer ist die Menschheit von Hungersnöten heimgesucht worden und für zahlreiche unserer Vorfahren war es harte Arbeit, ausreichend Nahrung zu bekommen.
Heute kennt man den Vergleich zwischen den so genannten "entwickelten" und den "unterentwickelten" Ländern - letztere werden auch "Entwicklungsländer" genannt. Selbst in den "entwickelten" Ländern gibt es vereinzelt Menschen, die so arm sind, dass sie sich um die eigene Ernährung sorgen müssen. In manchen "unterentwickelten" Ländern hingegen ist Hunger ein Massenphänomen. Die Ursachen dafür sind vielfältig und viele Experten streiten sich darüber, wie eine Lösung gefunden werden könnte.
Die "Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen" (im Englischen "Food and Agriculture Organization", abgekürzt "FAO") unterscheidet zwei Formen des Hungers - den einen nennt sie "strukturell", den anderen "konjunkturell". Dieser Unterscheidung liegen verschiedene Ursachen für den Hunger in der Welt zugrunde. Was verbirgt sich hinter diesen Begriffen?
Verschiedene Arten von Hunger
"Konjunktur" bedeutet soviel wie "Wirtschaftslage" - in Bezug auf den Hunger meint man eine schlagartige Verschlechterung der Versorgungssituation. Grund dafür kann zum Beispiel eine Dürreperiode verbunden mit der Zerstörung der Ernte sein, oder aber eine Naturkatastrophe wie zum Beispiel das schwere Erdbeben in Haiti.
Auch ein plötzlich ausbrechender Krieg - dafür gibt es vor allem in Afrika in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zahlreiche Beispiele - kann zu einer konjunkturell bedingten Hungersnot führen. Bei einer konjunkturellen Hungersnot ist eine sofortige internationale Hilfe nötig, weil in einer solchen Extremsituation vor Ort keine Mittel mehr zur Verfügung stehen.
"Struktur" meint den Aufbau einer Sache oder eines Systems - strukturelle Ursachen für den Hunger sorgen für einen ständigen, auch "chronisch" (also "dauerhaft") genannten Nahrungsmangel. Gründe hierfür sind etwa die allgemeine wirtschaftliche Unterentwicklung eines Landes, eine fehlende Infrastruktur (das sind Einrichtungen wie zum Beispiel Straßen oder Leitungen für die Strom-, Gas-
Anders als beim konjunkturellen Hunger schädigt der strukturelle Hunger die Menschen langsamer - meist sterben betroffene Menschen nicht am Hunger direkt, sondern an Krankheiten und Fehlentwicklungen, die infolge des Hungers ausbrechen. So zum Beispiel an der "Kwashiorkor" genannten Eiweiß-Mangelernährung, die dafür sorgt, dass Kinder nicht mehr weiter wachsen und langsam sterben. Oder aber die Menschen sterben nicht, sondern führen ein Leben in Krankheit - Vitamin-A-Mangel etwa führt zur Erblindung. Um den strukturellen Hunger aus der Welt zu schaffen, müsste die weltweite wirtschaftliche Ordnung nachhaltig verändert werden.
Technischer Fortschritt gegen den Hunger?
Trotz des technischen Fortschritts in der modernen Gesellschaft ist der Hunger längst nicht aus der Welt geschafft. Der technische Fortschritt ist also noch lange keine Garantie dafür, dass der Hunger verschwindet - im Gegenteil wurde durch wirtschaftliche Abhängigkeiten der armen Länder dieser Welt die Situation in den vergangenen Jahren zum Teil noch verschlimmert.
Zum einen gibt es durch den wissenschaftlichen Fortschritt zwar Anhaltspunkte für Hilfe: So können technische Neuerungen zum Beispiel durch besonders widerstandsfähiges Saatgut die Situation entspannen. Andererseits birgt technischer Fortschritt auch die Gefahr, die bestehenden landwirtschaftlichen Strukturen zu zerstören und neue Abhängigkeiten der von Armut betroffenen Länder zu den Industriestaaten und mächtigen Konzernen zu schaffen. Die Folge sind Arbeitslosigkeit, Armut und die Flucht vieler Menschen in die Elendsquartiere der Städte.
Oft wird das Argument genannt, mit Gentechnik könne man den Hunger bekämpfen, tatsächlich geht es aber vielmehr um die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen durch mächtige Firmen, die auf diese Weise den Markt kontrollieren und die Konkurrenz ausschalten können. Gentechnisch verändertes Saatgut soll zwar höhere Erträge gewährleisten (man spricht auch von der "Zweiten Grünen Revolution"). Die Schattenseiten sind jedoch die Zerstörung der Artenvielfalt und die Verdrängung kleinerer Produzenten durch führende Agrarunternehmen. Gen-Saatgut kann in den meisten Fällen nicht für eine zweite Aussaat genutzt werden - traditionell haben Bauern stets einen Teil ihrer Ernte genau zu diesem Zweck zurückgehalten. Neuerdings müssen sie neues Saatgut alljährlich von riesigen Unternehmen wie Monsanto, DuPont und Syngenta aufkaufen, welche den Markt beherrschen. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem "Monopol" - das ist eine Marktsituation, in der es für eine bestimmte Ware nur einen einzigen Anbieter gibt, der diese Vormachtstellung dann natürlich zu seinen Gunsten ausnutzen kann.
Hunger in einer Welt des Überflusses
Ein entscheidender Faktor beim Thema Hunger ist die ungleiche Verteilung. Die weltweite wirtschaftliche Ordnung in unserer globalisierten Welt ist ein Grund dafür, dass der Hunger zum großen Teil durch den Menschen selbst verursacht wird. Das erstaunliche ist nämlich, dass auch solche Länder von Hunger betroffen sind, die eigentlich alle Voraussetzungen für eine ausreichende Nahrungsmittelproduktion haben.
Länder wie Brasilien stellen große Mengen an Lebensmitteln für den "Export" (also den Verkauf ins Ausland) her, während ein Teil der eigenen Bevölkerung hungert. In Brasilien angebaute Sojabohnen - für die Anbauflächen wird der Regenwald abgeholzt - dienen zu einem Großteil nicht der Ernährung von Menschen, sondern der Ernährung von "Schlachttieren" in Europa und Nordamerika. Dort benötigt man Tierfutter, um große Mengen an Fleisch für den Weltmarkt zu produzieren.
Rund ein Viertel des weltweit angebauten Getreides wird verwendet, um Tiere, die später auf den Tellern von Menschen landen sollen, zu mästen. Viele sehen darin eine riesige Verschwendung: Ohne Massentierhaltung - und entsprechend im Falle einer deutlichen Einschränkung des Fleischverzehrs - könnten wesentlich mehr Menschen auf der Welt satt werden. Ein neuer Trend ist außerdem der Anbau von Mais für Biotreibstoffe - während also ein Teil der Weltbevölkerung hungert, nutzt man Lebensmittel gleichzeitig für Zwecke, die viel weniger dringlich erscheinen.
Wie die Börse Lebensmittelpreise beeinflusst
Manche Hungersnöte wurden schon ausgelöst, weil Preise für Lebensmittel plötzlich in die Höhe schossen. Genauso dramatisch kann es sein, wenn ein Land auf den Verkauf eines bestimmten Produktes angewiesen ist, um sich vom Gewinn lebensnotwendige Nahrungsmittel zu kaufen. Wenn der Weltmarktpreis für das eigene Produkt plötzlich fällt, kann es zur Zahlungsunfähigkeit von Ländern und infolgedessen zu Hungernsnöten kommen.
Viele arme Länder in der so genannten "Dritten Welt" sind durch mächtige Institutionen wie dem "Internationalen Währungsfonds" ("IWF", auf Englisch "IMF"), der "Weltbank" und der "Welthandelsorganisation" ("WHO", auf Englisch "WTO") gezwungen worden, nur noch einseitig bestimmte Lebensmittel zum Export herzustellen. Kurzfristig hat das zum Teil Sinn gemacht - der Preis ist allerdings, dass diese Länder nicht mehr in der Lage sind, ausreichend Lebensmittel für sich selbst herzustellen.
Es ist schwierig zu verstehen, wie Börsenspekulationen im Detail Preise nach unten oder nach oben schnellen lassen und wer davon auf welche Weise Gewinne macht. Vereinfachend lässt sich sagen, dass Preise sich dann erhöhen, wenn man von einem bestimmten Produkt weltweit weniger Waren anbietet als gefragt sind. Ist das Angebot von Waren größer als die Nachfrage, dann fällt der Preis. Da weltweit tätige Lebensmittelhändler viel Macht und Einfluss haben, gibt es hier Möglichkeiten, solche Entwicklungen künstlich zu beeinflussen.
Bei einem kurzfristigen Preisanstieg von Nahrungsmitteln können konjunkturelle Hungersnöte ausbrechen, weil Staaten nicht mehr zahlungsfähig sind. Die Schäden werden dann von den Menschen und so gut es eben geht von internationalen Hilfsorganisationen getragen. Zuletzt kam es im Jahr 2008 zu einem sprunghaften Anstieg der Preise für Weizen, Reis und Mais - in Ländern wie Ägypten, Indonesien oder Haiti waren Ernährungsengpässe und Hungeraufstände die Folge.
Eine weitere Rolle spielen die "Agrarsubventionen" - so nennt man Hilfszahlungen, mit denen beispielsweise in der EU die Landwirtschaft unterstützt wird, um deren Überproduktion aufzufangen. Die Landwirtschaft in den Industrieländern ist sehr viel leistungsstärker als die in den "unterentwickelten" Ländern. Dank dieser Subventionen können die Industrieländer selbst in den ärmeren Ländern (beispielsweise in Afrika) bestimmte Waren anbieten, die billiger sind als die dort produzierten Waren. Die Folge davon ist, dass die eigene kleinbäuerliche Landwirtschaft in diesen Ländern zerstört wird. Das führt einmal mehr zu einer Abhängigkeit von Lebensmitteln aus dem Ausland, die zur Bedrohung wird, wenn es einmal zur Unterbrechung des Warenflusses kommt.
Hunger als Erbe des Kolonialismus?
Man darf auch beim Thema Hunger nicht vergessen, dass der europäische Kolonialismus eine Verantwortung dafür trägt, dass die gegenwärtige Welt im Ungleichgewicht ist. Im Zuge der Unterwerfung und Ausbeutung Afrikas und Amerikas durch die Europäer wurde den Menschen die Landwirtschaft aufgezwungen, die aus Sicht der Eroberer erwünscht war.
Statt für sich selbst mussten die Menschen in der Folgezeit für andere produzieren - ganz abgesehen davon, dass wertvolle Rohstoffe einfach abtransportiert wurden. Und auch heute ist sehr viel Land eigentlich nicht im Besitz der Staaten und seiner Bürger, sondern im Besitz von "multinationalen" (das bedeutet "in mehreren Staaten ansässigen") Agrarunternehmen.
Versuche vor Ort, an dieser Situation durch "Reformen" ("Neuordnungen") oder "Revolutionen" ("Umstürze") etwas zu ändern, sind immer wieder von den ehemaligen Kolonialmächten zunichte gemacht worden. Im Prinzip hat sich daran bis zum heutigen Tag nichts geändert. Es ist also noch immer eine Wunschvorstellung, dass jedes Land auf der Welt das Recht auf Selbstbestimmung besitzt.
Oft genug regiert eine "korrupte" ("bestechliche") und durch Zwang herrschende Oberschicht, die durch Geschäfte mit dem Ausland reich wird und die Ordnung im eigenen Land notfalls auch mit Waffengewalt aufrecht erhält. Demokratisch gewählte Regierungen sind nicht selten Opfer von aus dem Ausland unterstützten Staatsstreichen und Militärputschen geworden (das bedeutet, dass die bestehende Regierung gewaltsam gestürzt wird), weil sie mehr soziale Gerechtigkeit durchsetzen wollten.
Die Kolonialmächte zwangen die Bauern in den Kolonien, solche Pflanzensorten anzubauen, die für die europäische Industrie und für den europäischen Markt geeignet waren. Das ist der Hauptgrund, warum zahlreiche Länder eine sehr einseitige Landwirtschaft verfolgten, was viele negative Folgen hatte. Wenn ein Land hauptsächlich ein einziges Produkt anbaut, spricht man von einer "Monokultur". Eine monokulturelle Landwirtschaft ist nicht nur schlecht für die Böden und die Umwelt, sie führt auch dazu, dass andere Lebensmittel auf dem Weltmarkt aufgekauft werden müssen. Das verursacht eine gefährliche Abhängigkeit von den Preisen auf dem Weltmarkt und trägt zur Verschuldung vieler Länder bei.
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