von Björn Pawlak - 19.01.2010
Haiti hat nach dem schwersten Erdbeben seit mehr als 200 Jahren am 12. Januar 2010 schlimme Zerstörungen zu beklagen - mehrere Zehntausend Menschen sind tot, Hunderttausende weitere Menschen haben ihre Behausung verloren. Haiti war sowieso schon das ärmste Land auf dem amerikanischen Kontinent, nun drohen die Menschen hier völlig im Chaos zu versinken. Die internationalen Hilfsleistungen sind angelaufen, die Helfer kämpfen jedoch mit unüberwindbaren Problemen.
Das Epizentrum des Bebens lag nur wenige Kilometer westlich von der Hauptstadt Port-au-Prince entfernt, das Beben ereignete sich in einer Tiefe von zehn Kilometern. In der Hauptstadt und in ländlichen Gebieten ist es zu erheblichen Zerstörungen gekommen. Auf der Richterskala erreichte der schwerste Stoß des Erdbebens eine Stärke von 7,0. Auch in der Dominikanischen Republik, dem Nachbarstaat, war das Erdbeben zu spüren, richtete aber keine größeren Schäden an.
Die Menschen in Haiti waren nicht vorgewarnt, normalerweise gilt das Land nicht als überdurchschnittlich erdbebengefährdet. Das größte Problem in den Tagen nach dem Beben ist die Versorgung der Menschen mit sauberem Trinkwasser. Auch für die Pflege der Verletzten wäre es dringend erforderlich, über eine funktionierende Trinkwasserversorgung zu verfügen. Laut Angaben der Vereinten Nationen ist die Lage in Haiti wegen der mangelhaften Infrastruktur noch schlimmer als bei der Tsunami-Katastrophe 2004 im Indischen Ozean.
Überall Trümmer, Tote und Verletzte
Im Hauptgebiet des Bebens leben mehrere Hunderttausend Menschen. Port-au-Prince ist eine überbesiedelte Stadt mit etwa 1,3 Millionen Einwohnern. Viele von ihnen haben jetzt keine Bleibe mehr, zahlreiche andere sind tot. Auch Tage nach dem Beben hatten diejenigen, deren Häuser noch stehen, wegen der zahlreichen Nachbeben Angst davor, in ihre Behausungen zurückzukehren. Eine Woche nach dem Beben werden noch Tausende von Menschen vermisst - stündlich sinkt die Hoffnung, dass man sie jetzt noch lebendig aus den Trümmern bergen kann.
In den letzten Tagen haben die Überlebenden mit allen Mitteln versucht - oft ohne Werkzeuge und mit bloßen Händen - verschüttete Mitmenschen wieder freizugraben. Unmittelbar nach dem Beben fielen die Strom- und Telefonnetze komplett aus. Die medizinischen Einrichtungen waren selbst größtenteils von der Zerstörung betroffen, so dass eine medizinische Versorgung der Erdbebenopfer in den meisten Fällen ausblieb. Die Anzahl der Todesopfer musste Tag für Tag nach oben korrigiert werden - am Anfang sprach man noch von einigen Hundert Toten, die Zahl liegt mittlerweile schon bei ungefähr Einhunderttausend.
Unter den zerstörten Gebäuden befinden sich auch riesige Komplexe wie Krankenhäuser, Schulen, Hotels, Kirchen und Einkaufszentren. Ganze Armensiedlungen wurden völlig verwüstet. Auch der Präsidentenpalast und das Hauptquartier der Vereinten Nationen in Haiti sind in sich zusammengestürzt - die Vereinten Nationen sind schon seit ein paar Jahren im Rahmen der Friedensmission "United Nations Stabilization Mission in Haiti" ("MINUSTAH") mit cirka 10.000 Blauhelmsoldaten im Land präsent. Der haitianische Präsident René Préval blieb unverletzt, obwohl er sich während des Bebens im Präsidentenpalast aufhielt. Unter den Mitarbeitern der UN-Friedensmission gibt es einige Tote und zahlreiche Vermisste.
Ärmstes Land Amerikas
Auch ohne das Erdbeben ist Haiti ein gebeuteltes Land - international spricht man auf Englisch auch gerne von einem "Failed State" (was im Deutschen soviel wie "zusammengebrochener Staat" bedeutet). Bis 1934 war Haiti von den USA besetzt. Danach herrschte bis in die 1980er-Jahre der Diktator-Clan der Duvaliers. Die USA unterstützten die Diktatoren, weil sie befürchteten, dass Haiti im Kalten Krieg andernfalls unter kommunistischen Einfluss geraten wäre.
Bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen in den 1990er-Jahren siegte der Priester Jean-Bertrand Aristide, der bis heute Hoffnungsträger der haitianischen Politik bleibt. Die innenpolitischen Unruhen nach erneuten Putschversuchen durch das Militär haben schließlich zur Entsendung der Blauhelmsoldaten der Vereinten Nationen im Jahr 2004 geführt.
Die neun Millionen Einwohner Haitis müssen mit durchschnittlich weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen - vielen fällt es schwer, die tägliche Reisration zu bezahlen. In den Tagen nach dem Erdbeben sind die Lebensmittelpreise auf der Straße noch einmal drastisch gestiegen, auf der anderen Seite kommt es vermehrt zu aus der Not geborenen Überfällen und Plünderungen. Eine andere Gefahr ist jetzt die Ausbreitung von Seuchen und Krankheiten - besonders Infektionskrankheiten wie die Masern und die Hirnhautentzündung sind auf dem Vormarsch.
Hilfe aus aller Welt
Die ohnehin dünne Versorgung der Menschen vor Ort mit lebenswichtigen Erzeugnissen droht nun völlig einzubrechen, Haiti kann ohne Hilfe von außen nicht mehr für sich selbst sorgen. Es ist deshalb nun das Ziel von internationalen Hilfsorganisationen, für Lebensmittel und Medikamente sowie andere lebenswichtige Gebrauchsgegenstände wie Zelte oder Decken aufzukommen. Weitere Hilfskräfte vor Ort sollen bei den Aufräumarbeiten helfen und später natürlich beim Wiederaufbau.
Die erste Hilfe nach dem Beben kam aus der Dominikanischen Republik, mittlerweile sind jedoch auch zahlreiche weitere Länder sowie internationale Organisationen an den Hilfsaktionen beteiligt. Die große Anzahl der im Hilfseinsatz eingebundenen Schiffe und Flugzeuge übersteigt die Kapazität der Flug- und der Seehäfen von Port-au-Prince - die Folge davon sind Stau und lange Wartezeiten für die Helfer.
Manche Flugzeuge mussten wieder umkehren, Hilfspakete wurden teilweise einfach mit dem Fallschirm über dem Krisengebiet abgeworfen. Um das Geschehen zu koordinieren, hat das US-amerikanische Militär im Moment die Kontrolle über den größten Flughafen "Aéroport international Toussaint Louverture" übernommen.
Das "Welternährungsprogramm" ("WFP") der Vereinten Nationen hat mittlerweile nach eigenen Angaben 250.000 Nahrungsrationen an die Not leidende Bevölkerung von Haiti verteilt. Um noch viel mehr zu leisten, sollen nun Logistikzentren vor Ort aufgebaut werden. Bis dahin werden Lebensmittelpakete und Trinkwasser weiterhin aus der Luft abgeworfen, in der Hoffnung, dass die Verteilung am Boden funktioniert.
Wird Haiti wieder Kolonie?
Seit 2004 ist Haiti durch die Friedensmission der Vereinten Nationen in seiner staatlichen Unabhängigkeit mehr oder weniger eingeschränkt. Die 9000 Mitarbeiter zählende Friedenstruppe soll für Ruhe und Ordnung sorgen.
Eigentlich war offiziell geplant, diese Friedensmission in absehbarer Zeit abzuschließen und die Verantwortlichkeit für die innere Stabilität und Sicherheit wieder an die haitianischen Behörden zu übertragen. Nach dem Erdbeben scheint dies nun allerdings für die nahe Zukunft ausgeschlossen zu sein - eher benötigt Haiti noch mehr Beistand von außen.
Es gilt jetzt als wahrscheinlich, dass die Mission der Vereinten Nationen noch lange andauern wird. Für manche Beobachter gilt Haiti heutzutage eher als Kolonie der Vereinten Nationen beziehungsweise der jetzt stark militärisch im Land vertretenen USA. Zumindest dürfte die Zukunft Haitis nun hauptsächlich in den Händen der Vereinten Nationen und der USA liegen - Haiti ist in der Tat eine Art Kolonie.
Ein merkwürdiger Vorschlag die Opfer des Erdbebens betreffend kommt unterdessen aus Afrika, wo Senegals Präsident Abdoulaye Wade den Erdbebenopfern anbietet, sich in seinem Land anzusiedeln. Er begründet den Vorschlag damit, dass die Haitianer als Nachkommen afrikanischer Sklaven auch ein Recht darauf hätten, wieder in ihrer angestammten Heimat zurückzukehren. Immerhin waren die Haitianer einst die Vorreiter, als es darum ging, das Joch der Sklaverei abzuwerfen. Damals war Haiti französische Kolonie - bis die Sklaven erfolgreich gegen die weiße Oberschicht rebellierten.
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