25.02.2013
Silke lebt seit November 2007 mit ihren zwei Kindern Leandro (5) und Chiara (8) auf La Gomera. La Gomera ist die zweitkleinste Insel der Kanaren im Süden Spaniens, die etwa 1.300 Kilometer vom spanischen Festland und nur 300 Kilometer vom afrikanischen Kontinent entfernt liegt. Wie kam es zu der Entscheidung, in die Ferne zu ziehen? Wie ist das Inselleben für die deutsche Familie? Leandro, Chiara und ihre deutsch-spanische Freundin Lara sprechen fließend Deutsch und Spanisch und springen ständig zwischen den Sprachen hin und her. Wie sind die Erfahrungen für die deutschen Kinder auf La Gomera und in der spanischen Schule?
Silke kam schon vor Jahren durch ihren Onkel und ihre Tante, die dort bereits seit zwanzig Jahren ein Haus haben, immer wieder auf die Insel. Irgendwann konnte sie sich mit ihrem damaligen Partner den Traum von einem eigenen kleinen Ferienhaus auf La Gomera erfüllen. Doch nach und nach wurde das Gefühl immer stärker, dass sie eigentlich gar nicht mehr zurück wollten. Und so wurden aus den Ferien immer längere Ferien und sie schmiedeten einen "10-Jahres-Plan". Innerhalb dieser Zeit sollte alles in Deutschland erledigt werden: Jobs mussten gekündigt, der neue Lebensraum auf der Insel aufgebaut und der alte abgeschlossen werden.
Was führte zu dem Entschluss, nach La Gomera zu ziehen? Die Idee bestand, und als die Kinder kamen, dachte sich Silke: Jetzt erst recht. Viele fragten, ob es denn eine gute Idee sei - gerade wegen der Kinder. Doch was Silke am meisten überzeugte, war der Umgang der Bevölkerung mit den Kindern. Ihre Augen leuchten, als sie von den ersten Erfahrungen berichtet: "Kinder stehen hier einfach an erster Stelle. Egal, wo man hinkommt, sie werden umsorgt und herzlich willkommen geheißen." Männer und Frauen schmelzen bei dem Anblick von Kindern nur so dahin, berichtet sie, wohingegen sie den Umgang von Deutschen als wesentlich trockener und zurückhaltender empfindet. Komplett anders als in Deutschland ist das Leben auf La Gomera nicht, aber es ist die Grundeinstellung, die sie überzeugte. Außerdem wachsen die Kinder in einer wunderschönen Umgebung inmitten der Natur auf.
So nahm das Abenteuer seinen Anfang. Doch obwohl sie schon so oft auf der Insel war, zeigte sich schnell, dass ein kompletter Umzug doch etwas ganz anderes ist. Und auch mit der Sprache gestaltete es sich zunächst etwas schwierig: Natürlich hatte Silke in Deutschland zuvor ein paar Spanischkurse gemacht, aber dort angekommen, merkte sie, dass sie erst einmal gar nichts verstand. Dazu kam, dass die Familie zu Beginn in den abgelegenen Bergen wohnte und kaum Kontakt mit einheimischen Menschen hatte. Seit Silke nun aber im Dorf wohnt und ihre Kinder in der Schule sind, klappt es mit der Sprache richtig gut.
Die Kinder, die Schule und die Sprache
Für die Kinder war das Erlernen der Sprache sehr viel einfacher. Leandro war erst sieben Monate alt, als sie auf die Insel zogen, Chiara war drei. Im Januar 2008 fing Chiara dann gleich in der spanischen Schule an. In Spanien gehen die Kinder bereits ab drei Jahren in eine Vorschule. Die Schulpflicht beginnt zwar wie bei uns erst mit sechs Jahren, aber wer nicht in der Vorschule war, verpasst einiges. Denn dort wird nicht in erster Linie gespielt, wie im Kindergarten, sondern es werden bereits Zahlen und Buchstaben gelehrt.
Als Chiara dann nach der Vorschule in die erste Klasse kam, lernte sie innerhalb eines Monats perfekt Spanisch. Leandro war von seinem zweiten bis dritten Lebensjahr im Kindergarten. Er hat jedoch in dem ersten Jahr nie geredet. Die Kindergärtnerinnen waren ganz erstaunt, weil sie merkten, dass er alles verstand, was man ihm sagte, aber einfach nicht antworten wollte. Es mag daran gelegen haben, dass er zwar in Spanien aufwuchs, jedoch mit seiner Familie in den abgelegenen Bergen wohnte und Deutsch sprach, weswegen der Kindergarten und die andere Sprache für ihn eine ganz neue Welt darstellten. Als er im letzten Viertel plötzlich anfing, Spanisch zu reden, war die Freude natürlich groß. Nach der ersten Hemmschwelle ist er nun auch nicht mehr zu stoppen.
In der Schule gibt es außer ihnen nur wenige Kinder aus Deutschland. Leandro hat einen Mitschüler, dessen Eltern ursprünglich aus Deutschland kommen, die davor aber schon in San Sebastian gelebt haben. Chiaras Klassenkameradin Lara hat eine deutsche Mutter, ihr Vater ist ein Gomero (so heißen die Einwohner La Gomeras). Die beiden Mädchen sind beste Freundinnen. Alle drei Kinder springen ständig von einer Sprache in die andere. Das Interessante dabei ist, dass die jeweilige Sprache meist mit der Handlung verbunden ist: Wenn sie miteinander spielen und zanken (auch zu Hause), dann machen sie das stets auf Spanisch. Und wenn sie die Mutter nach Süßigkeiten fragen, geschieht das auf Deutsch.
Die Tatsache, dass sie zweisprachig aufwachsen, hilft ihnen auch bei dem Erlernen weiterer Sprachen. Seit sie drei sind, haben sie Englisch in der Schule. Die Fremdsprachenvermittlung ist aber in Spanien - und gerade auf der abgelegenen Insel La Gomera - vor allem, was die Aussprache betrifft, eher schwach. Deshalb bekommen alle drei einmal in der Woche Zusatzunterricht von einer Engländerin, die ebenfalls auf der Insel lebt. Chiara bekommt mittlerweile mündliche Noten in der Schule und hat in Spanisch und Englisch immer eine Eins.
Wie ist das Verhältnis zwischen Deutschen und Gomeros?
Es wohnen ziemlich viele Deutsche auf der Insel, die in den späten 1970ern im Zuge der Hippie-Bewegung auf La Gomera gelandet sind. Die meisten kamen mit dem Wunsch hierher, auszusteigen und sich ein Leben fernab der damaligen Normen aufzubauen. Vor allem im südlichen Teil der Insel hat man zum Teil das Gefühl, sich in einer "deutschen Kolonie" zu befinden: Schilder sind ausschließlich auf Deutsch geschrieben und die Deutschen bleiben viel unter sich. Wie sehen das die deutschen Mütter Silke und Christiane, die Mutter von Lara, die beide im nördlichen Teil der Insel wohnen?
Silke sagt, dass man im Süden im Prinzip nicht Spanisch sprechen muss und findet das bedenklich. Christiane, die mit einem Gomero zusammen lebt, versucht es mit der Suche nach gesellschaftlichen und kulturellen Gemeinsamkeiten zu erklären und glaubt, dass das in vielen Ländern vorkommt. Wenn man dann aber die drei Kinder und ihr spielerisches Springen zwischen Sprachen und Kulturen betrachtet, sieht man, dass das Zusammenspiel sehr gut möglich ist, wenn man nur offen dafür ist.
Von den Kindern erinnert sich nur Chiara an ihre Zeit in Deutschland, da Leandro noch zu jung war. Sie erinnert sich an ihren Freund Paul, die Großeltern und den Schnee. Ab und an bekommen sie Besuch aus Deutschland oder fliegen selbst zurück. Das ist dann allerdings Urlaub - das letzte Mal vor zwei Jahren. Doch im nächsten Winter wollen die beiden unbedingt Schlittenfahren.
Und wie geht es weiter?
Nach der Trennung von ihrem Partner hatte Silke überlegt, zurück nach Deutschland zu gehen: Wenn sie hier bliebe, wäre es für die Kinder einfacher, wenn sie ginge, wäre es einfacher für sie. Die Entscheidung fiel für die Kinder aus und Silke ist heute sehr froh, sich so entschieden zu haben.
Doch irgendwann werden die Kinder wohl weggehen müssen, da die Ausbildung auf La Gomera nur bis zum Abitur möglich ist. Um zu studieren, müssten sie dann nach Teneriffa, auf das spanische Festland oder ganz woanders hin. Wenn sie nicht studieren, sondern eine Lehre machen wollen, würden sie das in Deutschland machen, meint Silke, da es eine Ausbildung in der Form wie in Deutschland (meist drei Jahre in einem Betrieb) in Spanien nicht gibt. Ihre Chancen wären dann viel besser. Sowieso stehen ihnen mit den verschiedenen Sprachen und kulturellen Erfahrungen, die sie machen, viele Türen offen.
Das Leben in Spanien stellt für Silke eine angenehme Mischung kultureller Eigenheiten dar. So hat sie immer die "typisch deutsche" Angewohnheit, extrem pünktlich und verlässlich zu sein. Auf der Arbeit schätzt man das sehr und im Privaten hilft man ihr zu erkennen, dass die Bäume "auch ohne sie wachsen" und sie die Dinge entspannter angehen kann. Sie hat gelernt, dass das Leben mit weniger Stress gut funktioniert und erinnert sich daran, dass in Deutschland Stress zu allem gehören musste. Und wer keinen hätte, der mache sich welchen. Gerade auch deshalb ist der Kontakt zu ihrem alten Leben so wichtig: Um sich immer wieder bewusst zu machen, wie gut es ihr geht, sagt sie mit einem Augenzwinkern.
In Deutschland arbeitete sie in der Buchhaltung und verdiente wesentlich mehr Geld als nun bei der Autovermietung und im Hotel auf der Insel. Aber die Lebensqualität wiegt es wieder auf. Natürlich befindet sich jeder Mensch irgendwie in seinem "Hamsterrad", findet Silke. Aber gerade in Deutschland scheint es, dass viele Menschen durch den Stress und ihren Erfolgsdrang vergessen, sich umzuschauen und das Leben zu genießen. Oft arbeite jemand in einem Job, der ihm nicht gefällt, und verdiene viel Geld, dass er dann für zwei Wochen Urlaub im Jahr (zum Beispiel auf La Gomera) ausgebe. Da habe sie die höhere Lebensqualität für weniger Geld. Die Menschen hier haben für Silke einfach andere Werte - eine andere Sicht auf das, was wichtig ist. Ihre Entscheidung bestätigt sich mit jedem Blick in die Berge und auf das Meer. Ob sie glaubt, auf La Gomera alt zu werden? Sie hofft es, sagt sie mit einem zufriedenen Lächeln.
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