von Antje Leser - 01.12.2011
Schon zu Lebzeiten eilte Marie Tussaud ihr Ruf voraus. Als Künstlerin brachte sie vor über 200 Jahren mit ihren Wachsfiguren einem breiten Publikum das Leben (und den Tod) prominenter Persönlichkeiten nah. Was als Wanderausstellung in Frankreich, England und Irland begann, entwickelte sich bald zu einem berühmten Museum. Im weltbekannten Londoner Wachsfigurenkabinett "Madame Tussauds" und seinen Zweigstellen in anderen Städten kann man bis heute lebensechte Wachsfiguren vieler Berühmtheiten wie zum Beispiel Michael Jackson bewundern. Im Dezember wäre die erfolgreiche Unternehmerin Marie Tussaud 250 Jahre alt geworden.
Die Künstlerin wurde am 1. Dezember 1761 als Anna Maria Grosholtz in Straßburg geboren und verbrachte die ersten Jahre ihrer Kindheit im Schweizer Bern. Ihr Vater war noch vor ihrer Geburt gestorben und ihre Mutter hatte eine Stelle als Haushälterin bei Dr. Philippe Curtius (1741-1794) angenommen, einem Arzt, den Marie immer "Onkel" nannte.
Curtius war mit der Technik der Wachsbildnerei (man sagt auch "Ceroplastik") vertraut und modellierte neben menschlichen Organen für seine Studenten anzügliche Miniaturen aus Wachs, mit denen er gute Geschäfte machte. 1765 zog er auf Einladung des französischen Königshauses nach Paris, wo er als Wachsbildner, so genannter "Wachsbossierer", arbeitete.
Kurz darauf holte er Marie und ihre Mutter zu sich nach Frankreich. Als Marie alt genug war, brachte er ihr sein Handwerk bei und Marie erregte bald die Aufmerksamkeit des damaligen Königs Ludwig XVI. Er holte sie an den Hof von Versailles, wo sie neun Jahre lang Kunsterzieherin von Prinzessin Elisabeth, der Schwester des Königs, war. In dieser Zeit modellierte sie zahlreiche Köpfe des Königshauses in Wachs, porträtierte den französischen Schriftsteller Voltaire und sogar den nordamerikanischen Naturwissenschaftler Benjamin Franklin.
Schicksalswendung mit der Französischen Revolution
Während der Französischen Revolution 1789 wendete sich ihr Schicksal. Sie wurde gezwungen, die Köpfe hingerichteter Prominenter in Wachs nachzubilden, darunter auch ihren früheren Arbeitgeber König Ludwig XVI. und seine Frau Marie Antoinette. Einige Köpfe wurden anstelle der schnell verwesenden Originale durch die Straßen getragen, damit das Volk sie verspotten konnte. Marie wurde ihr gutes Verhältnis zum französischen Königshaus beinah zum Verhängnis. Mehrfach saß sie mit anderen Adligen im Gefängnis und entkam dabei selbst nur knapp einer Hinrichtung.
1794 erbte sie nach dem Tod ihres "Onkels" dessen umfangreiche Figurensammlung und heiratete ein Jahr später den französischen Offizier François Tussaud, mit dem sie zwei Söhne hatte. Als gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Kundschaft ausblieb, folgte Marie einer Einladung nach England. Nach ihrer Scheidung zog sie die nächsten 27 Jahre mit ihren beiden Söhnen durch England und Irland und präsentierte ihre Sammlung erfolgreich auf Jahrmärkten.
Die Leute erhielten durch Maries Ausstellungen sehr anschaulich Neuigkeiten aus ihrer Zeit und lernten die Gesichter der Menschen kennen, die das damalige öffentliche Leben bestimmten. Das war zu dieser Zeit etwas ganz Außergewöhnliches, denn es gab noch keine Massenmedien wie heute, in denen man täglich die Gesichter berühmter Menschen zu sehen bekommt. 1835 eröffnete Marie schließlich in der Londoner Baker Street ihr eigenes Wachsfigurenmuseum. Für sechs Pfennig Eintritt galt es, eine Mischung aus prominenten Persönlichkeiten und namhaften Verbrechern zu bewundern. 1884 zog die Sammlung in die Marylebone Road in London um, wo sie noch heute zu finden ist. Am 16. April 1850 starb Marie Tussaud in London.
Die Kunst der Fertigung lebensechter Wachsfiguren
Schon als Kind hatte Marie Tussaud ihrem Onkel über die Schulter geschaut, wenn er mit der Herstellung seiner Wachsfiguren beschäftigt war. Mit Pinsel und Ölfarbe verlieh er den Wachsgesichtern ein natürliches Aussehen, drückte echte Haare in das Wachs oder wählte passende Augen und Zähne für eine Figur aus.
Die Herstellung der heutigen Figuren beginnt mit einem so genannten Sitting, bei dem die nachzubildende Person genau vermessen und über 150-mal fotografiert wird. Damit sie später möglichst lebensecht wirkt, beobachten die Künstler ihr Gegenüber während des Sittings ganz genau. Danach stellen sie ein Metallskelett her (man sagt auch Armatur), auf das die Körperform mithilfe von Ton modelliert wird. Besondere Sorgfalt verwenden sie auf das Ausformen des Kopfes, das bis zu sechs Wochen dauert. Um später eine Figur aus Wachs zu erhalten, müssen die Künstler mithilfe des Tonkörpers und Gips eine Gussform herstellen, in die danach flüssiges Wachs gegossen wird.
Wenn das Wachs gehärtet ist, können Körper und Kopf bemalt werden. Insgesamt zwölf Schichten Farbe sind nötig, bis das Gesicht lebensecht wirkt. Da die Augenfarbe exakt dem Original entsprechen muss, werden die Augen eigens aus Acrylglas angefertigt. Haare, Augenbrauen und Körperbehaarung werden sorgfältig Strähne für Strähne in die Wachshaut eingestochen. Übrigens ist es bei Madame Tussauds üblich, dass die Prominenten ihren Figuren Kleider aus ihrem persönlichen Kleiderschrank schenken. Nach drei bis vier Monaten ist eine Figur bereit für ihren Auftritt in der Ausstellung. Bis dahin haben etwa zehn verschiedene Künstler an ihr gearbeitet. Da die Figuren regelmäßig erneuert werden, ist es mittlerweile zum Teil sogar erlaubt, sie zu berühren und mit ihnen Fotos zu schießen. Heute gibt es in vielen Städten Europas Zweigstellen des Londoner Museums und auch in den USA, Australien und China kann man ihre Wachsfiguren bewundern.
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