22.05.2006
Seit 171 Jahren ist erstmals wieder ein frei lebender Braunbär in Deutschland aufgetaucht. Prompt hat ihn Bayerns Umweltminister Werner Schnappauf (CSU) zum Abschuss freigegeben. Das Helle Köpfchen fragte die Leiterin des WWF-Bärenprojekts in Österreich, Beate Striebel, sowie den Leiter Artenschutz beim WWF Deutschland, Roland Melisch, ob es keine bessere Lösung gibt, als den Bären zu töten.
Helles Köpfchen: Viele Menschen waren froh, dass endlich wieder ein wilder Bär aus Österreich nach Deutschland eingewandert ist. Nun hat ihn die bayerische Landesregierung zum Abschuss freigegeben. Was sagt der WWF dazu? HK:
Roland Melisch: Der WWF steht hinter der Entscheidung der bayerischen Landesregierung. Unsere Experten waren ständig in Kontakt mit dem Umweltministerium. Und letztlich mussten wir feststellen, dass das Risiko für die Menschen zu groß wird und wir es nicht mehr tragen können.
HK: Seit 171 Jahren wurde kein frei lebender Bär mehr in Deutschland gesichtet. Gibt es hierzulande überhaupt Experten, die einschätzen können, wie gefährlich der Bär tatsächlich ist?
Beate Striebel: Der deutsche WWF hat natürlich von Anfang an eng mit seinen österreichischen Experten zusammengearbeitet. In Österreich sind Bären seit über 30 Jahren wieder heimisch. Daher können unsere Experten gut einschätzen, ob ein Bär zur Gefahr für Menschen werden könnte.
Melisch: Die meisten unserer etwa 30 Bären verhalten sich sehr unauffällig. Sie leben in ihrem Revier weit ab von Menschen. Selbst unsere Experten bekommen sie oft zwei bis drei Wochen nicht zu Gesicht, obwohl sie ständig ihre Spuren lesen.
HK: Worin unterscheidet sich der bayerische Bär von seinen österreichischen Artgenossen?
Striebel: Der Bär war uns schon in Österreich negativ aufgefallen. Er hat seit zwei Wochen fast täglich Schafe, Hühner und Bienenstöcke angegriffen. Täglich ist er bis zu 15 Kilometer weiter gewandert und ist dabei immer dichter an Bauernhöfe und andere menschliche Siedlungen gekommen.
Melisch: Dieser Bär hat offensichtlich nicht nur die Scheu vor den Menschen verloren. Er hat gelernt, dass er in der Nähe von Menschen besonders leicht fette Beute machen kann. Heute ist er sogar in ein Gebäude eingedrungen.
HK: Kann man das nicht verhindern?
Striebel: Wir haben seit zwei Wochen versucht, an den Bären heranzukommen und ihn einzufangen. Wir wollten ihm ein Halsband mit einem Sender verpassen, um ihn im Auge zu behalten. Anschließend wollten wir ihn dazu bringen, wieder Angst vor Menschen zu bekommen. Dafür hätten wir den Bären mit Gummikugeln beschossen. Das hätte ihm wehgetan, aber nicht verletzt. So hätte er gelernt, dass er sich besser von den Menschen fern hält.
Melisch: Leider ist es keinem Experten gelungen, den Bären aufzuspüren. Niemand konnte ihm bisher nahe genug kommen, um ihm eine Betäubungsspritze zu verpassen. Und da der Bär ziellos umher wandert, konnten wir ihn auch nicht mit Beute in eine Falle locken. Mittlerweile wird es immer unwahrscheinlicher, dass wir ihn doch noch lebend erwischen. Dagegen nimmt die Gefahr zu, dass er Menschen zu nahe kommt.
HK: Dann ist also Ihrer Meinung nach ausgerechnet der erste freie Bär seit 171 Jahren in Deutschland ein besonders problematisches Exemplar?
Striebel: Wir hätten uns gewünscht, dass der erste Bär, der von Österreich nach Deutschland kommt, ein anderer ist. Dieser Bär verhält sich aber leider sehr auffällig und könnte zur Gefahr werden. Das ist tragisch.
HK: Wie lange wird es schätzungsweise dauern, bis der Bär erschossen wird?
Melisch: Es wird wahrscheinlich noch einige Zeit vergehen, bis ein Jäger den Bären erwischt. Denn er hat sich bisher auch sehr gut versteckt.
HK: Werden wilde Bären auch in Zukunft keine Chance bekommen, sich wieder in Deutschland anzusiedeln?
Melisch: Wir setzten uns dafür ein, dass Bären auch in Deutschland wieder heimisch werden. Braunbären gehören zu den einheimischen Tieren in Deutschland. Sie sind zwar zurzeit bei uns ausgestorben, aber es ist sicher, dass irgendwann wieder ein Bär aus Österreich oder Polen zu uns einwandert. Das kann morgen sein oder in zwei Jahren. Daher müssen wir nun endlich einen Plan erstellen, in dem festgelegt wird, wer was zu tun hat, wenn der nächste Bär kommt. Wir fordern, den nächsten Bären mit einem Funkhalsband zu markieren und ihn anschließend zu beobachten. So könnten wir erfahren, wie er in unseren Wäldern heimisch wird. Und wir könnten frühzeitig etwas unternehmen, damit er sich nicht an Beute in Menschennähe gewöhnt.
HK: Wenn alle wild lebenden Bären ein Funk-Halsband tragen - warum weiß man dann nicht, wie viele Bären es tatsächlich in Österreich gibt? Die Zahlen schwanken immer zwischen 20 und 30.
Striebel: Das liegt daran, dass in Österreich nur die auffälligen Bären gefangen und mit einem Funkhalsband versehen werden. Die in der Wildnis geborenen Bären, die zurückgezogen und fernab von Menschen leben, lassen wir in Ruhe. Und das sind die allermeisten. Für Deutschland wünsche ich mir, dass der nächste Bär, der über die Grenze kommen wird, ein normales, unauffälliges Tier ist, das sich ein neues, festes Revier sucht.
Wie ist deine Meinung? Sollten Bären auch in der Schweiz und in Deutschland wieder heimisch werden dürfen? Oder ist das zu gefährlich? Im Forum, das unten verlinkt ist, kannst du deine Meinung sagen und mit anderen Lesern diskutieren.
Hinweis zum Copyright: Die private Nutzung unserer Webseite und Texte ist kostenlos. Schulen und Lehrkräfte benötigen eine Lizenz. Weitere Informationen zur SCHUL-LIZENZ finden Sie hier.
Wenn dir ein Fehler im Artikel auffällt, schreib' uns eine E-Mail an redaktion@helles-koepfchen.de. Hat dir der Artikel gefallen? Unten kannst du eine Bewertung abgeben.