10.08.2005
In China sind 140 Bergleute bei zwei Grubenunglücken verschüttet worden. Wahrscheinlich gibt es keine Rettung mehr für sie. Das Helle Köpfchen sprach mit Christoph Meer von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie über die Gefahren, denen Bergleute ausgesetzt sind.
Helles Köpfchen: In Deutschland, Österreich und der Schweiz kommt es nur sehr selten zu schweren Grubenunglücken. Wie sieht die Situation in China aus?
Christoph Meer: Katastrophal. Leider muss man sagen, dass solche schlimmen Unglücke, wie sie jetzt wieder passiert sind, in China fast schon zum Alltag gehören. Laut offiziellen Angaben der chinesischen Regierung verunglücken dort 6.000 Bergleute tödlich - und zwar jedes Jahr.
HK: Glauben Sie, dass die offiziellen Angaben über die Opferzahlen stimmen?
Meer: Nein. Die internationale Bergbau-Gewerkschaft geht davon aus, dass es in Wirklichkeit viel mehr Tote gibt. Es sind schon Fälle bekannt geworden, wo nach Unglücken in China ein Teil der Toten schnell zur Seite geschafft wurde. Auf diese Weise tauchen sie nämlich nicht in den Opfer-Statistiken auf. Man muss annehmen, dass jährlich etwa 15.000 Bergleute in China ihr Leben verlieren.
HK: Was tut die chinesische Regierung, um solche Katastrophen in Zukunft zu vermeiden?
Meer: Zu wenig. Menschenleben zählen für die chinesische Regierung fast nichts, deshalb wird kaum Geld in die Sicherheit der Bergleute investiert.
HK: Wie kann das sein?
Meer: Die Situation in China ist vergleichbar mit der Lage in Deutschland vor 40 bis 50 Jahren zur Zeit des "Wirtschaftswunders". Es herrscht ein unglaublicher "Boom". Damit die Wirtschaft weiter wächst, ist sehr viel Energie nötig. Und um diese Energie zu gewinnen, baut China große Mengen Kohle ab. Wenn die dortige Regierung jetzt mehr Geld in die Sicherheit der Bergleute investieren würde, dann würde der Preis für Kohle steigen. Dadurch würde das Wirtschaftswachstum gebremst werden. Und genau das will die chinesische Regierung nicht. Lieber nimmt sie jedes Jahr den Tod tausender Bergleute in Kauf.
HK: Warum wählen Chinesen trotz des enormen Risikos überhaupt den Beruf "Bergmann"?
Meer: Die Kohlegruben liegen oft sehr weit abseits großer Städte. Die Menschen, die dort leben, haben kaum eine andere Möglichkeit Geld zu verdienen. Deshalb werden sie Bergleute und bauen trotz des Risikos Kohle ab. Bei 300 Millionen Arbeitslosen in China finden sich immer genug Menschen, die trotz aller Gefahren bereit sind, in den Gruben zu arbeiten. Sie brauchen den Lohn, um zu überleben.
HK: Ist "Bergmann" an sich ein gefährlicher Beruf?
Meer: Der Beruf ist anspruchsvoll. Gefährlich wird er, wenn nicht gut ausgebildete Bergleute mit schlechter Ausrüstung in Minen arbeiten, in denen kein Wert auf Sicherheit gelegt wird. Und das ist in sehr vielen der 28.000 chinesischen Kohlegruben der Fall. Viele werden sogar ohne Genehmigung betrieben. Da ist Sicherheit dann oft gar kein Thema.
HK: Wo liegen die Risiken im Bergbau?
Meer: Es gibt drei klassische Gefahrenquellen: Wassereinbrüche, Steinrutsche und Gasexplosionen.
HK: Warum passiert bei uns so selten ein schlimmer Unfall?
Meer: Weil hier die Sicherheit an oberster Stelle steht. Da sind sich die Firmen, Arbeiter, Gewerkschaften und Politiker einig. Wir haben die modernste Sicherheitstechnik der Welt in unseren Bergwerken. So gab es im Jahr 2004 nur zwei Tote in allen deutschen Zechen. Das sind allerdings zwei zuviel.
HK: Was kann man für die Sicherheit in Bergwerken konkret tun?
Meer: Um Explosionen zu verhindern, muss man ständig die Zusammensetzung der Luft überwachen. Damit sich nicht zuviel Methangas oder Kohlestaub in der Luft ansammelt, wird ständig Frischluft in die Stollen gepumpt. Falls sich trotzdem einmal zu viel hochexplosives Methan angesammelt hat, müssen sich alle Geräte automatisch abschalten. Außerdem werden bei uns alle elektrischen Geräte, etwa Computer oder Motoren, "verkapselt". Das bedeutet: Sie werden eingehüllt und können keine Funken schlagen. Dadurch kann sich Methan oder Kohlenstaub in der Luft auch nicht entzünden und zu einer Explosion führen. Und schließlich gibt es noch überall "Wassersperren".
HK: Was verbirgt sich dahinter?
Meer: Sollte es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen zu einer Explosion kommen, platzen große, mit Wasser gefüllte Plastikbehälter. Dadurch entsteht eine Wasserwand, die jede Feuerwalze stoppen kann. Es gibt also viele Sicherheitsvorkehrungen, die sich gegenseitig ergänzen.
HK: Wie lassen sich Wassereinbrüche und Steinrutsche verhindern?
Meer: Wassereinbrüche kann es nicht geben, wenn der Berg vor der Grabung gründlich untersucht wurde. Mit moderner Technik kann man unterirdische Wasserläufe leicht feststellen und ihnen beim Kohleabbau ausweichen. Und Gesteinsbrüche gibt es bei uns nicht, weil die Bergleute immer in Gruben arbeiten, die von stabilen Stahlträgern oder Stahlschilden abgestützt werden. Das verhindert gefährliches Nachrutschen von Geröll.
HK: Also besteht - zumindest in unseren Bergwerken - überhaupt kein Risiko für die Kumpel?
Meer: Man kann das Risiko zwar sehr klein halten, ganz ausschließen kann man es jedoch nie. Sehr selten kommt es zu Unglücksfällen, die allerdings andere Gründe haben. Zum Beispiel, wenn ein Bergarbeiter von einer der unterirdischen Lokomotiven angefahren wird.
HK: Gibt es außer China noch andere Länder, in denen Bergleute besonders gefährlich leben?
Meer: Die chinesischen Bergwerke sind mit Abstand die gefährlichsten. Mindestens 80 Prozent (80 von 100) aller toten Kumpel weltweit verunglücken jedes Jahr in China. Zwar gibt es auch dort einige wenige Vorzeige-Bergwerke, die auf dem neuesten Stand sind, aber die sind die große Ausnahme. Doch auch in der Ukraine und in Weißrussland kommt es immer wieder zu schlimmen Unglücken. In diesen osteuropäischen Ländern wird auf die Sicherheit der Bergleute ebenfalls zu wenig wert gelegt.
HK: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, müsste eigentlich fast kein Bergmann mehr bei einem Unglück sterben?
Meer: Genau. Ich kann mich nur an ganz wenige Unglücke bei uns in den vergangenen 20 Jahren erinnern. In Deutschland gab es 1992 ein Unglück mit sieben Toten. In Österreich ereignete sich im Jahr 1998 das Grubenunglück von Lassing mit zehn Toten. In der Schweiz kann ich mich an überhaupt kein schweres Unglück erinnern. Nur in sehr großer Tiefe, etwa beim Diamantbergbau in Südafrika, ist die Gefahr auch dann hoch, wenn man alle Sicherheitsmaßnahmen beachtet.
HK: Wie kommt das?
Meer: Dort lastet ein unglaublicher Druck auf den Minenschächten in über 4.000 Metern Tiefe. In normalen Kohlegruben, die höchstens 1.500 Meter tief sind, müsste es hingegen keine größeren Unglücke mehr geben.
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