Professoren sind schusselig, Beamte langweilig und Frisöre homosexuell. Franzosen und Italiener denken immer an die Liebe, Engländer können nicht kochen und Polen klauen teure Autos. Solche Vorurteile und Klischees haben wir aus dem Fernsehen, aus Erzählungen und aus Witzen übernommen. Diese Bilder, die wir uns über bestimmte Volks- oder Berufsgruppen machen, bestimmen, wie wir auf einen unbekannten Menschen zugehen und was wir von ihm erwarten.
Stelle dir mal vor, dass du morgen eine Verabredung mit einem "Herrn Meier" hast. Du hast diesem Mann noch nie gesehen, erfährst aber, dass er Beamter ist. Sofort versuchst du, dir ein Bild von Herrn Meier zu machen. Dabei benutzt du möglicherweise Vorurteile, die du über Beamte schon einmal gehört hast. Vielleicht denkst du nun, dass Herr Meier immer korrekt gekleidet ist, meist hinter seinem Schreibtisch sitzt und auf Ordnung in seinen Akten sehr großen Wert legt.
Diese Bilder könnten also in deinem Kopf sein, bevor du Herrn Meier zum ersten Mal begegnet bist. Vielleicht kannst du Beamte nicht ausstehen. Dann ist klar, dass du mit einem schlechten Gefühl zu eurer Verabredung gehst. Am nächsten Tag ist es soweit, du siehst einen unbekannten Mann vor dir und prüfst, ob das Bild, das du dir von ihm gemacht hast, mit dem echten Herrn Meier übereinstimmt.
Du betrachtest dir seine ordentliche Kleidung, seinen aufgeräumten Schreibtisch und seine aufgeschlagenen Aktenordner. Und siehe da: Es stimmt! Alles ist so, wie du es erwartet hast. Natürlich ist dir Herr Meier vom ersten Augenblick an unsympathisch. Du bist froh, dass euer Gespräch nach kurzer Zeit beendet ist.
Herr Meier, der Familienvater
Hättest du dagegen gar nicht gewusst, welchen Beruf Herr Meier ausübt, sondern nur, dass er gerade erst Vater eines kleinen Sohnes geworden ist, dann würdest du bei eurer ersten Begegnung wahrscheinlich auf ganz andere Dinge achten. Du liebst nämlich kleine Kinder und junge Väter sind dir sympathisch.
Am nächsten Tag triffst du also Herrn Meier, doch auf dessen Kleidung und Aktenordner achtest du überhaupt nicht. Stattdessen fällt dir ein gerahmtes Foto auf seinem Schreibtisch auf, das ihn lächelnd zusammen mit einem Baby auf dem Arm zeigt. Herr Meier macht vom ersten Augenblick an einen sehr guten Eindruck auf dich. Ihr unterhaltet euch großartig und lacht viel miteinander.
Das gute oder das schlechte Bild, das du dir vor dem ersten Treffen über Herrn Meier gemacht hast, besteht aus Vorurteilen. Du hast dir allein deshalb ein Urteil über jemanden gebildet, weil er zu einer bestimmten Gruppe von Menschen gehört. Doch warum gibt es Vorurteile, wenn sie uns oft davon abhalten, offen, neugierig und unbefangen auf Menschen zuzugehen?
Papa kann alles!
Vorurteile sind nicht immer schlecht, sondern sie schützen den Menschen auch. Du wirst in eine Welt hineingeboren, in der du dich noch überhaupt nicht auskennst. Du musst erst lernen, wer für dich sorgt, wem du vertrauen kannst und vor wem du dich in Acht nehmen musst. Deine Eltern und auch das Fernsehen zeigen dir, wie man sich in der Welt zurechtfinden kann. Du selbst hast also nur Kontakt zu sehr wenigen Menschen: Deine Familie, ein paar Freunde deiner Eltern, ein paar eigene Freunde und deren Eltern - das war's dann aber auch schon. Von allen anderen Menschen weißt du (fast) gar nichts.
Dennoch versuchst du, aus deinen eigenen Erfahrungen Schlüsse auf bestimmte Menschengruppen zu ziehen. Wenn du zum Beispiel einmal von einem Rennradfahrer angefahren wurdest, dann könntest du daraus das Vorurteil ableiten, dass alle Fahrradfahrer rücksichtslos durch die Straßen rasen. Das stimmt zwar nicht, aber dennoch hat deine Angst auch einen Vorteil: Wenn sich künftig ein Radfahrer nähert, passt du ganz genau auf und wirst dadurch nicht mehr in Unfälle verwickelt. Einige Vorurteile können dich also vor Schaden bewahren.
Es gibt auch andere Vorurteile, die gut sind. So glauben kleine Kinder, dass ihr Vater alles kann. Sie fühlen sich dadurch sicher und beschützt und können ohne Angst ihre Umgebung erkunden. Erst später merken sie, dass ihre Eltern nicht das Wetter beeinflussen können und auch sonst keineswegs allmächtig sind. Doch dann haben sie sich schon so weit entwickelt, dass sie sich auch alleine in die Welt wagen. Das Vorurteil "Papa kann alles" hat seinen Zweck erfüllt und ist nutzlos geworden.
Aus Vorurteilen werden Urteile
So wie beim Beispiel "Papa kann alles" ist es auch bei allen anderen Vorurteilen. Sie gelten nur so lange, bis du dir ein eigenes, echtes Urteil bilden konntest. Wenn ein Mensch anders ist als das Bild, das wir uns von ihm gemacht haben, dann verändert sich auch das Vorurteil über die Gruppe von Menschen, der wir ihn zurechnen. Je mehr Menschen wir aus dieser Gruppe kennen lernen, desto eher werden Vorurteile berichtigt, so dass schließlich ein echtes Urteil entsteht.
Dieser Prozess vom Vorurteil zum Urteil kann aber sehr lange dauern. Denn obwohl eine Person ganz anders sein kann, als wir es erwartet haben, halten wir noch immer an unseren Vorurteilen fest. Wir glauben dann, es handele sich um "eine Ausnahme, die die Regel bestätigt". Dann sagst du zum Beispiel: "Ich habe neulich einen Professor getroffen - und der war noch jung und überhaupt nicht schusselig!"
Aber du glaubst immer noch, dass alle anderen Professoren bestimmt alt und schusselig sind. Vorurteile halten sich also hartnäckig, auch wenn sie im Einzelfall oft nicht zutreffen. Albert Einstein hat dazu einmal gesagt: "Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom."
Vorurteile gelten aber nur so lange, bis sie oft genug widerlegt sind. Argumente und eigene Erfahrungen sind Wege, um Vorurteile abzubauen. Das Bild eines Professors ändert sich also, wenn du immer wieder Professoren triffst, die nicht schusselig sind.
Minderheiten leiden mehr unter Vorurteilen
Nur von Menschen, mit denen wir regelmäßig kommunizieren ("zu tun haben"), können wir uns ein Urteil bilden. Daher haben wir besonders starke und hartnäckige Vorurteile gegenüber Minderheiten, denen wir nie oder nur sehr selten begegnen. Denn wenn wir mit einem Menschen keine Erfahrungen und Gedanken austauschen können, dann glauben wir den Bildern, die wir von ihm und Seinesgleichen haben.
So halten sich negative Vorurteile über Juden, Araber, „Asylanten“ oder „Schwarze“, weil sie in deinem Land Minderheiten darstellen, mit denen die meisten Landsleute kaum Kontakt haben. Fast alles, was wir über sie zu wissen glauben, haben wir aus "dritter Hand" erfahren - meistens aus dem Fernsehen oder den Zeitungen. Aber das TV berichtet am liebsten über Sensationen, Skandale und Schreckensnachrichten.
Araber sprengen das Welthandelszentrum und andere Häuser in die Luft, Israelis töten Palästinenser, Asylbewerber betrügen den Staat, indem sie falsche Angaben machen. Solche Dinge lesen wir ständig in den Zeitungen. Dagegen erfahren wir über den ganz normalen Alltag dieser Bevölkerungsgruppen nur sehr wenig, denn der scheint nicht so interessant zu sein.
Unser Bild von diesen Minderheiten kann dadurch aber nicht normal sein, denn von "normalen Menschen" dieser Minderheiten wissen wir ja fast gar nichts. Manchmal halten wir die Ausnahme (Osama bin Laden ist ein Verbrecher) für die Regel (alle Araber sind Verbrecher).
Ordnung in einer verwirrenden Welt
Durch Vorurteile versuchen wir, Ordnung in unsere komplizierte Welt zu bringen. Manchmal wehren wir uns dagegen, wenn jemand unsere Vorurteile in Frage stellt. Denn sie greifen auch unser Weltbild an - unsere eigene, kleine Sicht auf die große, weite Welt.
Dabei ist es eigentlich so einfach, Vorurteile abzubauen. Du musst nur neugierig und unvoreingenommen auf einen anderen Menschen zugehen und mit ihm reden. Wenn du dies tust, dann wirst du andere Bevölkerungsgruppen viel leichter verstehen.
Wie gefährlich Vorurteile sind, hat man in Deutschland zwischen 1933 und 1945 gemerkt. Wenn es damals keine Vorurteile gegen Juden gegeben hätte, dann hätten die Nazis nicht viele Millionen Juden ermorden können.
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