von Björn Pawlak - 16.09.2011
Das westliche Militärbündnis NATO hat durch sein Eingreifen einen politischen Umschwung in Libyen herbeigeführt. Begründet hatte man den militärischen Einsatz damit, der dortigen Bevölkerung im Befreiungskampf gegen die Zwangsherrschaft unter dem Machthaber Gaddafi beizustehen. Zuvor war es in Libyen zu Protesten gegen die staatliche Ordnung gekommen, welche durch Truppen der Regierung gewaltsam aufgelöst worden waren. Was sind die Hintergründe des Umsturzes in Libyen?
Nach monatelangem Kampf haben die Aufständischen ("Rebellen") mittlerweile die Kontrolle im nordafrikanischen Land Libyen übernommen. Machthaber Muammar al-Gaddafi gilt seit dem 22. August 2011 als abgesetzt. Zuvor hatte er über 40 Jahre lang (seit 1969) die Politik Libyens als Staatsoberhaupt in einer Diktatur gelenkt - das bedeutet, dass er mit Zwang herrschte und die alleinige Macht im Land besaß. (Nachtrag: Am 20. Oktober 2011 wurde Gaddafi durch Schussverletzungen getötet - die Umstände sind nicht völlig geklärt, obwohl es Videoaufnahmen seines Todes gibt.)
Im August 2011 hatte das westliche Militärbündnis NATO die Luftangriffe erheblich verstärkt und damit den Weg für die Aufständischen in die libysche Hauptstadt Tripolis frei gemacht. Der ehemalige Diktator Gaddafi ist seit der Machtübernahme der Rebellen untergetaucht. Bei den Bombenangriffen haben mutmaßlich auch Menschen ihr Leben lassen müssen, welche nicht als Kämpfer in die Auseinandersetzungen verwickelt waren. Im Dorf Majer nahe der Stadt Sliten sollen ungefähr 80 Menschen, darunter Kinder, durch Bomben zu Tode gekommen sein - die NATO hat diese Darstellungen hingegen zurückgewiesen.
Vor den NATO-Angriffen hatte es bereits zahlreiche Tote gegeben, nachdem es zu Massenerhebungen gegen das gewaltsame Gaddafi-Regime gekommen war. Gaddafi setzte das eigene Militär gegen den Teil der libyschen Bevölkerung ein, welcher sich für einen politischen Umschwung stark machte. Der Militäreinsatz der NATO sollte nach eigenen Angaben weitere Gewalt des Regimes gegen die Menschen in Libyen verhindern, die mehr Freiheit und Recht auf Selbstbestimmung einforderten, so dass es zu einem "friedlichen" Wandel kommen könne.
In einigen Ländern der Erde - vor allem in den afrikanischen Ländern - wertet man das Eingreifen der NATO dagegen nicht nur als Beihilfe zum Sturz einer Diktatur, sondern auch als einen feindseligen Akt und Verstoß gegen internationales Recht. Auch waren nicht alle Gegner des Gaddafi-Regimes dafür, dass die NATO eingreift. Zum Teil ist sogar von einem "neuen Kolonialismus" die Rede - besonders Frankreich kann in Nordafrika auf eine lange Geschichte als Kolonialmacht zurückblicken, nach dem Zweiten Weltkrieg hielten Großbritannien und Frankreich Libyen noch besetzt und verhinderten zunächst die Unabhängigkeit des Landes.
Beobachter wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichten davon, dass sowohl auf Seiten der Anhänger Gaddafis als auch der Rebellen Gräueltaten verübt wurden. Nach dem Sieg der Rebellen besteht die Gefahr, dass willkürliche Rache an den politischen Gegnern genommen wird. Der Krieg droht auch nach der Machtübernahme der Aufständischen fortzubestehen, weil viele Libyer sich den neuen Machthabern nicht ohne weiteres unterordnen wollen. Dabei muss man auch die "tribale Ordnung" Libyens beachten - gemeint ist damit ein System von Stämmen, welche miteinander in Konkurrenz stehen.
Auch die Gegner des ehemaligen Machthabers Gaddafi haben nämlich verschiedene Vorstellungen davon, wie das Land politisch gesteuert werden soll. Es gibt ganz unterschiedliche Interessen in diesem Konflikt - nicht zuletzt auch die von westlichen Konzernen, welche an den libyschen Erdöl- und Erdgasquellen interessiert sind. Denn Libyen besitzt die größte Erdölwirtschaft, gefolgt von Nigeria und Algerien. Nach dem Verlust einer vier Jahrzehnte anhaltenden politischen Ordnung muss sich ein neues Gleichgewicht erst einstellen, was auch Gefahren und Konflikte birgt.
Wie und wann begann der Konflikt?
Seit Dezember 2010 kam es in der arabischen Welt zu einer Serie von Protesten, Aufständen und Revolutionen - man spricht vom "Arabischen Frühling". Auch in Libyen gab es Erhebungen und Massenproteste, welche vom libyschen Militär gewaltsam unterdrückt wurden. Nach dem Sturz der Regierungen in den Nachbarländern Ägypten und Tunesien war klar, dass auch in Libyen ein Umsturz droht. Die libysche Regierung ging brutal gegen Demonstrierende und Aufständische vor.
Im Osten des Landes konnten die Rebellen Gebiete unter ihre Kontrolle bringen. Im Westen hingegen blieben die Anhänger Gaddafis in der Überzahl. Im Februar 2011 weitete sich der Konflikt zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen aus, an der Bekämpfung der Aufstände beteiligte sich nun auch die libysche Luftwaffe. Im März 2011 gründeten die Rebellen den "Nationalen Übergangsrat" mit dem Ziel, die Regierung in der Hauptstadt Tripolis abzulösen.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) reagierte auf die Vorgänge in Libyen und verabschiedete am 17. März 2011 die so genannte "Resolution 1973". Der Sicherheitsrat ist das mächtigste Organ der Vereinten Nationen. Ihm gehören als ständige Mitglieder Frankreich, Russland, die USA, das Vereinigte Königreich (Großbritannien) und die Volksrepublik China an, dazu kommen zehn wechselnde Mitgliedsstaaten. Die fünf ständigen Mitglieder besitzen ein "Vetorecht" - das heißt, sie können gemeinsame Beschlüsse eigenhändig verhindern.
Die "Resolution 1973" sah zum Schutz der Bevölkerung die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen vor (so dass die Truppen Gaddafis nicht mehr aus der Luft angreifen können) und drängte auf einen sofortigen Waffenstillstand. Die Besatzung des Landes durch eine ausländische Macht wurde durch den Beschluss hingegen ausgeschlossen. Für die Resolution gab es zehn Ja-Stimmen und fünf Enthaltungen (nämlich durch Brasilien, China, Deutschland, Indien und Russland).
Internationaler Militäreinsatz gegen die libysche Armee
Am 19. März 2011 flogen französische, britische und US-amerikanische Streitkräfte die ersten Kriegseinsätze gegen die libysche Armee. Die internationalen Streitkräfte wurden ergänzt durch die NATO-Mitglieder Spanien, Dänemark, Norwegen, Italien, Kanada und Belgien. Zwei Drittel aller NATO-Angriffe wurden von französischen und britischen Kommandos durchgeführt, weswegen sich der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy und der britische Premierminister David Cameron später als "Befreier" Libyens feierten.
Die Hoffnung der NATO, den Rebellen zu einem schnellen Sieg zu verhelfen, konnte aber nicht in die Tat umgesetzt werden. Die gezielten Versuche, Gaddafi zu töten und damit den Widerstand zu brechen, misslangen. Das Gaddafi-Regime kündigte an, das Land "bis auf den letzten Blutstropfen" gegen die ausländischen Angreifer zu verteidigen. Trotz der vielen Gaddafi-Gegner kam es in der Hauptstadt Tripolis auch zu Protesten gegen die NATO und für die libysche Regierung. Aus anderen afrikanischen Ländern kamen weitere Menschen, um sich aus Überzeugung oder gegen Bezahlung an den Kampfhandlungen zu beteiligen.
Die internationalen Streitkräfte der NATO griffen vor allem aus der Luft an. Dabei wurden nicht nur militärische Einrichtungen, sondern auch öffentliche "Infrastruktur" (also Einrichtungen, die zur Entwicklung eines Gebiets notwendig sind, zum Beispiel Straßen, Strom- und Wasserleitungen und Kommunikationssysteme) bombardiert. Von den Bombardements aus der Luft war auch die Zivilbevölkerung - das heißt die Menschen, die nicht aktiv an den Kampfhandlungen beteiligt sind - betroffen. Dennoch sind viele Beobachter der Ansicht, dass die NATO-Angriffe den Libyern insgesamt zugute kommen, weil nur durch ihre Beihilfe das militärisch starke Regime Gaddafis gestürzt werden konnte.
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