von Björn Pawlak
Wo steht das deutsche Team kurz vor dem Anpfiff bei der WM in Südafrika? Der letzte Test war erfolgreich: Durch ein Tor von Neu-Kapitän Philipp Lahm und zwei verwandelte Elfmeter von Bastian Schweinsteiger konnte Bosnien und Herzegowina nach Rückstand mit 3:1 besiegt werden. In Südafrika spielt Deutschland in Gruppe D - Gegner werden dort nacheinander Australien, Serbien und Ghana sein. Ein Weiterkommen ist eigentlich Pflicht.
Deutschland ist mit drei WM-Titeln (1954, 1974 und 1990) eine der erfolgreichsten Fußball-Nationen - und auch bei den letzten beiden großen Turnieren schnitt das Team mit einem dritten Platz bei der WM 2006 in Deutschland und einem zweiten Platz bei der EM 2008 in der Schweiz und in Österreich erfolgreich ab.
Dennoch zählt das Team von Joachim Löw diesmal nicht zum ganz engen Favoriten-Kreis. Kapitän Michael Ballack hat sich kurz vor dem Turnier schwer verletzt und fällt aus. Mit Torhüter René Adler und den defensiven Mittelfeldspielern Simon Rolfes und Christian Träsch sowie Verteidiger Heiko Westermann muss Trainer Löw verletzungsbedingt auf weitere Spieler verzichten. Auch Torhüter Robert Enke, der sich am 10. November 2009 das Leben genommen hat, war ursprünglich für die WM in Südafrika fest eingeplant.
Doch aus der Not könnte auch eine Tugend werden: Deutschland hat im Moment sehr starke junge Spieler, auf diese wird es nun ankommen. Manuel Neuer, Jérôme Boateng, Dennis Aogo, Serdar Taşçı, Sami Khedira, Mesut Özil und Marko Marin waren bis zum letzten Jahr noch Spieler der U-21-Nationalmannschaft (Spieler, die zu einem Stichtag ihr 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben). 2009 holte Deutschland den Titel bei der U-21-Europameisterschaft in Schweden - das macht Hoffnung.
Zu den "jungen Wilden" zählen auch Thomas Müller und Toni Kroos, der mit 20 Jahren Jüngste im Team - beide haben in der Bundesliga eine ganz starke Saison gespielt und waren vor einem Jahr noch völlig unbekannt. Dasselbe gilt für Verteidiger Holger Badstuber, der 2009/2010 seine erste Bundesliga-Saison gespielt hat und sofort Stammspieler wurde. Hoffnungsträger ist auch der Deutsch-Brasilianer Cacau, der von den deutschen Stürmern im Moment den besten Eindruck hinterlässt. Überhaupt ist auffällig, dass diesmal sehr viele Spieler mit ausländischen Wurzeln im Team stehen. Wie immer träumen trotz der vielen Ausfälle zahlreiche Anhänger des Teams vom vierten WM-Titel.
Historische Erfolge der deutschen Nationalmannschaft
Der letzte große Titelgewinn der deutschen Nationalmannschaft liegt schon ein paar Jahre zurück: 1996 wurde das Team in England Europameister - damals unter Trainer Berti Vogts. Oliver Bierhoff, der damals im Finale den Siegtreffer gegen Tschechien erzielte, ist heute Team-Manager der Deutschen.
Der letzte WM-Titel gelang 1990 in Italien - damals hieß der Trainer Franz Beckenbauer, die Stars waren Lothar Matthäus, Jürgen Klinsmann und Rudi Völler. In Italien gelangen Siege gegen Jugoslawien, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Tschechoslowakei und England - im Finale siegte man durch einen von Andreas Brehme verwandelten Elfmeter gegen Argentinien mit seinem großen Star Diego Armando Maradona (bei der WM 2010 ist er der Trainer der Argentinier).
Insgesamt gelang es den Deutschen sechs Mal, ein großes Turnier zu gewinnen - drei Mal bei der WM und drei Mal bei der EM. Neben den Erfolgen in den 90er-Jahren wurde man 1954 in der Schweiz und 1974 im eigenen Land Weltmeister sowie 1972 in Belgien und 1980 in Italien Europameister. Vier Mal (1966, 1982, 1986 und 2002) scheiterte Deutschland erst im WM-Finale. Außer 1930 und 1950 war Deutschland bei allen WM-Endrunden dabei - 1930 verzichtete der Verband auf die Teilnahme, 1950 wurde man aufgrund des Zweiten Weltkrieges nicht zugelassen. Es wäre nach dem Wunsch vieler Anhänger mal wieder an der Zeit, dass Deutschland einen Titel holt. 2008 bei der Europameisterschaft in der Schweiz und in Österreich wäre es fast gelungen - letztlich war man im Finale gegen Spanien aber chancenlos (0:1).
Bei der WM vor vier Jahren im eigenen Land spielten die Deutschen überzeugend - Trainer Jürgen Klinsmann stellte die Mannschaft damals offensiv auf und das Team zeigte leidenschaftlichen Fußball. Nach Siegen gegen Costa Rica, Ecuador, Polen, Schweden und Argentinien war erst im Halbfinale gegen den späteren Weltmeister Italien Endstation (0:2 nach Verlängerung) - das Spiel um Platz 3 gewann Deutschland anschließend gegen Portugal (3:1). Auch die vorletzte WM 2002 in Japan und Südkorea unter Trainer Rudi Völler war eine Erfolgsgeschichte: Es gab Siege gegen Saudi-Arabien, Kamerun, Paraguay, die USA und Südkorea - erst im Finale unterlag man Brasilien (0:2).
Deutschland mit sicherer Qualifikation
Deutschland qualifizierte sich souverän für die WM-Endrunde 2010 in Südafrika, auch wenn die Spiele oft nicht sehr schön anzusehen waren. Den stärksten Gruppengegner Russland konnte die Nationalmannschaft mit zwei Siegen hinter sich lassen (2:1 und 1:0) - in beiden Spielen bot René Adler, der jetzt verletzt ausfällt, eine überragende Leistung im deutschen Tor. Nur in zwei Spielen verpasste Deutschland den Sieg - beide Male gegen Finnland (3:3 und 1:1). Weitere Gegner waren Wales (1:0 und 2:0), Aserbaidschan (2:0 und 4:0) und Liechtenstein (6:0 und 4:0).
Viele Stammspieler aus der Qualifikationsrunde sind bei der WM-Endrunde nicht dabei - allen voran Kapitän Michael Ballack und Stammtorhüter René Adler. Aber auch die verletzten Spieler Heiko Westermann und Simon Rolfes sowie der formschwache Thomas Hitzlsperger spielten während der Qualifikation noch eine wichtige Rolle.
Viele Spieler aus dem Kader für Südafrika sind also erst seit kurzem dabei. Anders der neue Kapitän Philipp Lahm und sein Stellvertreter Bastian Schweinsteiger - die beiden Spieler von Bayern München waren auch in den Qualifikations-Spielen wichtige Stützen. Für Südafrika sollen sie aufgrund ihrer Erfahrung besonders viel Verantwortung übernehmen.
Das Team: Viele Spieler mit Wurzeln im Ausland
Bei der Zusammenstellung des Kaders von Joachim Löw gab es natürlich Diskussionen - besonders die Nichtberücksichtigung von Torsten Frings von Werder Bremen, Kevin Kuranyi von Schalke 04 und Mats Hummels von Borussia Dortmund war für viele unverständlich. Frings wäre als defensiver Mittelfeldspieler ein möglicher Ersatz für Kapitän Michael Ballack gewesen. Hummels, auch einer der deutschen U-21-Europameister, spielte eine überragende Saison als Verteidiger bei Borussia Dortmund. Kuranyi hat anders als die von Löw berufenen Stürmer von Bayern München - Miroslav Klose und Mario Gómez - eine sehr starke Bundesliga-Saison gespielt (Kuranyi: 18 Tore, Gómez: 10 Tore, Klose: 3 Tore). Es wurde kritisiert, dass Spieler wie Klose, Gómez oder auch der Hamburger Piotr Trochowski nominiert wurden, obwohl sie in ihren Vereinen noch nicht mal Stammspieler waren. Doch Löw entschied anders - man wird bald sehen, ob er mit seinen Entscheidungen richtig lag.
Das Team ist kurz vor der WM noch einmal kräftig durchmischt worden und man darf nun sehr gespannt sein. Noch immer ist nicht sicher, wie die Stammelf aussehen wird. Die zu hundert Prozent gesetzten Spieler sind der Schalker Torhüter Manuel Neuer, der Bremer Verteidiger Per Mertesacker, Kapitän Philipp Lahm auf der defensiven Außenbahn (links oder rechts), die defensiven Mittelfeldspieler Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira (VfB Stuttgart) sowie sehr wahrscheinlich auch der Bremer Offensivspieler Mesut Özil im Mittelfeld sowie der Kölner Lukas Podolski im Angriff. Gute Chancen auf einen Stammplatz haben Arne Friedrich von Hertha BSC Berlin, Holger Badstuber von Bayern München und Toni Kroos von Bayer Leverkusen.
Die Mittelstürmer Klose - der immerhin schon 48 Tore für die Nationalmannschaft geschossen hat und vor vier Jahren Torschützenkönig bei der WM war - und Gómez scheinen kurz vor der WM außer Form zu sein. Im Sturm muss sich Löw also offensichtlich Sorgen machen. Allerdings haben andere Offensivspieler zuletzt mit starken Leistungen auf sich aufmerksam gemacht - allen voran Cacau vom VfB Stuttgart, Marko Marin von Werder Bremen und Thomas Müller von Bayern München. Es könnte also sein, dass diesmal die Spieler aus der zweiten Reihe plötzlich im Mittelpunkt stehen.
Interessant ist diesmal auch, dass sehr viele Spieler mit Migrationshintergrund oder Wurzeln im Ausland für Deutschland am Ball sind. Das trifft zu auf Dennis Aogo (Vater aus Nigeria), Jérôme Boateng (Vater aus Ghana), Serdar Taşçı (Eltern aus der Türkei), Sami Khedira (Vater aus Tunesien), Marko Marin (Eltern aus Bosnien und Herzegowina), Mesut Özil (Eltern aus der Türkei), Piotr Trochowski (Eltern aus Polen), Cacau (gebürtiger Brasilianer), Mario Gómez (Vater aus Spanien), Miroslav Klose (Mutter aus Polen) und Lukas Podolski (Eltern aus Polen).
Wie stark sind Deutschlands Gegner?
Deutschland ist in seiner Gruppe klarer Favorit - dennoch darf keine der anderen Mannschaften unterschätzt werden. Als stärkster Gegner gilt Serbien mit den Bundesliga-Profis Antonio Rukavina (1860 München), Neven Subotić (Borussia Dortmund), Gojko Kačar (Hertha BSC Berlin), Zoran Tošić (1. FC Köln) und Zdravko Kuzmanović (VfB Stuttgart). Das Spiel gegen Serbien wird am 18. Juni um 13:30 Uhr Mitteleuropäischer Zeit ("MEZ") in Port Elizabeth angepfiffen werden. Serbien hatte sich in der Qualifikationsrunde gegen Frankreich, Österreich, Litauen, Rumänien und die Färöer Inseln als Gruppensieger durchgesetzt.
Davor wird Deutschland gegen Australien ins Turnier einsteigen - die "Aussies" verloren ihr letztes Testspiel gegen die USA mit 1:3, besiegten kurz zuvor allerdings Dänemark mit 1:0. Sie sollten für die Deutschen auf jeden Fall schlagbar sein. Die Australier setzten sich in ihrer Qualifikationsrunde gegen Katar, Irak und China durch und haben mit Dario Vidošić vom MSV Duisburg auch einen Spieler im Aufgebot, der in Deutschland spielt. Anpfiff für das Spiel Deutschland gegen Australien wird am 13. Juni in Durban sein (20:30 Uhr MEZ).
Letzter Gegner der Deutschen in der Vorrunde ist am 23. Juni 20:30 Uhr MEZ Ghana, das als afrikanisches Team einen gewissen Heimvorteil besitzt. Die Nationalmannschaft Ghanas setzte sich in ihrer Qualifikationsrunde gegen Libyen, Gabun und Lesotho durch und wurde beim letzten "Afrika Cup" (die afrikanische Entsprechung zur Europameisterschaft) Zweiter. Das Team ist sehr jung und man traut ihm viel zu. Ghanas großer Star Michael Essien vom englischen Meister FC Chelsea fällt allerdings verletzungsbedingt aus. Drei Spieler Ghanas sind für Vereine in Deutschland aktiv: Hans Sarpei spielt bei Bayer Leverkusen, Isaac Vorsah und Prince Tagoe stehen bei der TSG Hoffenheim unter Vertrag. Auch einen anderen Spieler Ghanas kennt man in Deutschland: Kevin-Prince Boateng ist der Bruder des deutschen Nationalspielers Jérôme Boateng - in der Bundesliga spielte er für Hertha BSC Berlin und Borussia Dortmund, mittlerweile ist er in England beim FC Portsmouth unter Vertrag. Falls beide Boatengs am 23. Juni spielen sollten, wäre es das erste "Bruderduell" bei einer Fußballweltmeisterschaft.
Bei einem Weiterkommen wartet ein Team aus Gruppe C auf Deutschland - dort spielen England, die USA, Algerien und Slowenien. Um dem schweren Gegner England aus dem Weg zu gehen sollte man unbedingt versuchen, den Sieg in Gruppe D zu holen. Andererseits: Wer Weltmeister werden will muss jeden schlagen, egal wann und wo...
Der Kader im Überblick Hier findest du alle Spieler, die Trainer Joachim Löw in sein Aufgebot berufen hat. In den Klammern stehen die Rückennummern und die Vereinsmannschaften. Tor:
Butt, Hans Jörg (22 / Bayern München)
Neuer, Manuel (1 / FC Schalke 04)
Wiese, Tim (12 / Werder Bremen)
Abwehr:
Aogo, Dennis (4 / Hamburger SV)
Badstuber, Holger (14 / Bayern München)
Boateng, Jérôme (20 / Hamburger SV)
Friedrich, Arne (3 / Hertha BSC Berlin)
Lahm, Philipp (16 / Bayern München)
Mertesacker, Per (17 / Werder Bremen)
Taşçı, Serdar (5 / VfB Stuttgart)
Mittelfeld:
Jansen, Marcell (2 / Hamburger SV)
Khedira, Sami (6 / VfB Stuttgart)
Kroos, Toni (18 / Bayer Leverkusen)
Marin, Marko (21 / Werder Bremen)
Özil, Mesut (8 / Werder Bremen)
Schweinsteiger, Bastian (7 / Bayern München)
Trochowski, Piotr (15 / Hamburger SV)
Sturm:
Cacau (19 / VfB Stuttgart)
Gómez, Mario (23 / Bayern München)
Kießling, Stefan (9 / Bayer Leverkusen)
Klose, Miroslav (11 / Bayern München)
Müller, Thomas (13 / Bayern München)
Podolski, Lukas (10 / 1. FC Köln)
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