Bundespräsident Horst Köhler ist zurückgetreten

Neuwahl innerhalb von 30 Tagen

von Björn Pawlak - 31.05.2010

Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler ist überraschend vier Jahre vor dem Ende seiner Amtszeit zurückgetreten. Er klagte "notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt" ein. Hintergrund ist, dass er in den letzten Tagen für bestimmte Aussagen in einem Radiointerview öffentlich kritisiert wurde. Deswegen - so Köhler - trete er mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurück.

Überraschung: Horst Köhler ist mit sofortiger Wirkung als Bundespräsident zurückgetreten.
Roosewelt Pinheiro || Agência Brasil || Wikipedia

Das Amt des Bundespräsidenten ist das politisch höchste in Deutschland - sein Inhaber gilt als deutsches "Staatsoberhaupt". In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist es bisher noch nie vorgekommen, dass ein Bundespräsident vorzeitig zurücktritt.

Horst Köhler, der diesen Schritt nun vollzogen hat, war nach Theodor Heuss, Heinrich Lübke, Gustav Heinemann, Walter Scheel, Karl Carstens, Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und Johannes Rau der neunte Bundespräsident der Bundesrepublik.

Sein Rücktritt kam überraschend und bringt die deutsche Politik nun in Verlegenheit. Bis zur Neuwahl eines Bundespräsidenten wird Köhler in seiner politischen Funktion durch Bundesratspräsident Jens Böhrnsen ersetzt. Innerhalb von 30 Tagen muss eine Neuwahl organisiert werden.

Köhler wurde zuletzt kritisiert, weil er nach einer Afghanistan-Reise (dort sind deutsche Soldaten im "Afghanistan-Einsatz" stationiert) beim Sender "Deutschlandradio" ein Interview gegeben hatte, in dem er fragwürdige Aussagen über die Bundeswehr und die "Sicherung von Wirtschaftsinteressen" machte.

Das umstrittene Interview

Schloss Bellevue in Berlin: Hier befindet sich der Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten.
winter_birgit || pixelio.de

Sinngemäß hieß es im Interview, dass die Bevölkerung eines großen Landes wie Deutschland begreifen müsse, dass zur Wahrung eigener Interessen im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig sei. Kritiker warfen Köhler vor, dass seine Aussagen inhaltlich nicht mit dem in Deutschland geltenden Grundgesetz vereinbar seien. Köhler wiederum gab vor, dass man ihn missverstehe und sprach von einer "Unterstellung".

Zur Klarstellung ist es wichtig, sich den originalen Wortlaut anzusehen. Köhler sagte: "In meiner Einschätzung sind wir insgesamt auf dem Wege, in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe, mit dieser Außenhandelsabhängigkeit, auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren - zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch negativ auf unsere Chancen zurückschlagen, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern." Später hieß es seitens Köhler, dass er diese Aussagen nicht als Kommentar zum Krieg in Afghanistan gemeint habe.

Die Äußerungen lösten erst ein paar Tage später eine heftige Debatte aus - andere Politiker und die Medien griffen Köhlers Aussagen auf. Hintergrund ist die Befürchtung, dass die Bundeswehr heutzutage nicht mehr nur eine "Verteidigungsarmee", sondern eine "Interventionsarmee" geworden ist - "Intervention" ist Lateinisch und bedeutet "Eingreifen". Falls dem so wäre - und so könnte man Köhlers Worte durchaus verstehen - entspräche dies nicht dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Das Grundgesetz beschränkt den Einsatz der Bundeswehr auf die "Landesverteidigung" - vielen Beobachtern erscheint es mittlerweile abwegig, den Krieg in Afghanistan so zu interpretieren. In Afghanistan ist Deutschland schon seit 2001 militärisch verwickelt - damals riefen die USA den "Bündnisfall" aus, zum ersten Mal in der Geschichte der NATO. Der Bündnisfall wird ausgerufen, wenn eines der NATO-Länder angegriffen wird - die anderen NATO-Länder sind dann zum Beistand verpflichtet. Die USA forderten den Bündnisfall ein, indem sie behaupteten, von einem in Afghanistan sitzenden Terrornetzwerk angegriffen worden zu sein.

Wer ist Horst Köhler?

Zwischen dem 1. Juli 2004 und dem 31. Mai 2010 war Horst Köhler als Bundespräsident das deutsche Staatsoberhaupt.
Wikipedia

Geboren wurde Horst Köhler am 22. Februar 1943 in der während des Zweiten Weltkriegs von deutschen Truppen besetzten polnischen Stadt Skierbieszow. Die Familie musste vor der Roten Armee fliehen und ließ sich in Ludwigsburg nieder. In Tübingen studierte Köhler später Wirtschaft.

Köhler war zwar seit 1981 Parteimitglied der CDU, trat aber nicht öffentlich als Politiker auf. Er arbeitete als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, für Banken und schließlich als Direktor der UN-Sonderorganisation "Internationaler Währungsfonds" ("IWF") in Washington.

Köhler war in der deutschen Politik weitgehend unbekannt, als er 2004 zum ersten Mal zum Bundespräsidenten berufen wurde. Bedeutendste Amtshandlung seiner Amtszeit war die damals teilweise auch scharf kritisierte "Auflösung des Deutschen Bundestags" am 21. Juli 2005. In der Folge gab es Neuwahlen - seitdem ist Angela Merkel Bundeskanzlerin. Vor einem Jahr, am 23. Mai 2009, hatte die Bundesversammlung Horst Köhler für eine zweite Amtszeit als Bundespräsident gewählt.

Was passiert jetzt?

"Kommissarischer" Nachfolger: Bundesratspräsident Jens Böhrnsen übernimmt bis zur Neuwahl die Aufgaben des Bundespräsidenten.
Wilfried Wittkowsky || Wikipedia

Das Amt des Bundespräsidenten wird als so wichtig angesehen, dass es sofort wieder besetzt werden muss. Der Rücktritt eines Bundespräsidenten kam bisher noch nie vor - es gibt aber eine Regelung über die Nachfolge im Grundgesetz.

Das Gesetz schreibt vor, dass der Bundesratspräsident "kommissarisch" die Amtsgeschäfte des Bundespräsidenten übernimmt - "kommissarisch" heißt soviel wie "stellvertretend". Der "Bundesrat" ist eine der beiden "Kammern" der deutschen Volksvertretung (die andere Kammer ist der "Bundestag"). Bundesratspräsident ist im Moment Jens Böhrnsen von der SPD. Deswegen übt er das Amt des Bundespräsidenten ab sofort kommissarisch aus.

Nach dem Grundgesetz muss es innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen geben, also bis zum 30. Juni 2010. Für die Wahl des neuen Bundespräsidenten ist die "Bundesversammlung" verantwortlich - die Bundesversammlung setzt sich zu gleichen Teilen aus Vertretern des Bundestages und der Parlamente der einzelnen Bundesländer zusammen. Es ist nicht vorhersehbar, ob die Bundesregierung (CDU/CSU und FDP) stark genug vertreten sein wird, um den von ihr gewünschten Kandidaten wählen zu lassen. Wer zur Wahl stehen wird, ist bisher noch nicht bekannt. (Nachtrag vom 4. Juni: Mittlerweile haben sich die politischen Lager auf ihre jeweiligen Kandidaten geeinigt. Die CDU/CSU und die FDP werden den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff von der CDU ins Rennen schicken. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben den Parteilosen Joachim Gauck nominiert, der nach der deutschen Wiedervereinigung Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen war. Die Linke stellt vorerst keinen eigenen Kandidaten auf. Nachtrag vom 8. Juni: Auch Die Linke hat nun einen eigenen Kandidaten aufgestellt - man einigte sich auf Lukrezia Jochimsen, die seit 2005 Bundestagsabgeordnete für Die Linke ist.)

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letzte Aktualisierung: 08.06.2010

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