26.05.2006
Seine schwarze Hautfarbe soll der Grund dafür gewesen sein, dass ein 37-jähriger Mann in Potsdam auf der Straße fast tot geprügelt worden ist. Die Menschen in Deutschland sind fassungslos - wieder einmal. Denn rassistische und fremdenfeindliche Gewalt hat inzwischen eine traurige Tradition. Obwohl der Generalbundesanwalt Kay Nehm inzwischen nicht mehr von einer fremdenfeindlichen Straftat ausgeht, besteht das Problem "rassistische Gewalt" weiter.
Es geschah am Ostersonntag an einer Straßenbahnhaltestelle in Potsdam (Bundesland Brandenburg). Dort ist Ermyas M., ein 37-jähriger Deutscher afrikanischer Herkunft, von mehreren Männern als "dreckiger Nigger" angepöbelt worden. Zwar sind bislang keine Zeugen für den Tathergang bekannt. Allerdings hat Ermyas M. die Handy-Nummer seiner Frau gewählt. Auf der Mailbox sind die Stimmen und Beleidigungen der mutmaßlichen Täter zu hören. Nach einem Wortgefecht soll es zum Ausbruch der Gewalt gekommen sein. Ermyas M. bekam einen gewaltigen Schlag ins Gesicht. Die Polizei geht davon aus, dass Rassismus der Grund für den Überfall war, denn Ermyas' Haut ist schwarz.
Der Vater zweier Kinder wurde kurz nach der Tat mit lebensgefährlichen Kopfverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Ein einziger weiterer Schlag oder Tritt hätte vermutlich ausgereicht und er wäre noch an der Haltestelle gestorben. Ermyas M. soll so betrunken gewesen sein, dass er sich beim Fallen nicht abstützen konnte. Auch eine Woche nach der menschenverachtenden Tat kämpften die Ärzte um das Leben von Ermyas M. Er lag lange Zeit im künstlichen Koma. Inzwischen ist er jedoch auf dem Wege der Besserung. Erst fünf Wochen nach der Tat konnte ihn die Polizei vernehmen, aber Ermyas M. kann sich an die Ereignisse nicht mehr erinnern.
Haftbefehl gegen Tatverdächtige
Die Polizei hat die Stimmen auf der Handy-Mailbox veröffentlicht, um die Täter zu finden. Und tatsächlich konnte sie wenige Tage nach der Tat zwei 29 und 30 Jahre alte Männer festnehmen, die Verbindungen zur rechtsextremen Szene haben sollen. Am Tatort sind Blutspuren gefunden worden, die nicht vom Opfer stammen. Die Polizei prüft nun, ob sie dieses Blut einem der beiden Tatverdächtigten zuordnen kann. Experten untersuchen außerdem, ob die Stimmen auf der Mailbox tatsächlich von den beiden Männern stammen. Sie beteuern jedoch ihre Unschuld. Nachdem die beiden Verdächtigen einen Monat lang in Untersuchungshaft gesessen hatten, sind sie am 23. Mai und 2. Juni in die Freiheit entlassen worden. Sie sind jedoch weiterhin verdächtig und müssen sich regelmäßig bei der Polizei melden.
War es tatsächlich seine schwarze Hautfarbe, die die Täter dazu bewogen hat, Ermyas M. brutal zusammenzuschlagen? Oder ist es aus einem anderen Grund zum Streit gekommen? Darüber streiten nun sogar schon die Politiker. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich zu der Aussage hinreißen lassen, dass auch "blonde, blauäugige Menschen" Opfer von Gewalttaten werden können. Dafür hat er viel Kritik einstecken müssen. Ob die Tat einen rassistischen Hintergrund hat, ist zwar noch nicht bewiesen. Generalbundesanwalt Kay Nehm hat die Ermittlungen am 26. Mai an die Ermittler vor Ort abgegeben, weil er nicht mehr von einem rassistischen Hintergrund für die Tat ausgeht. Selbst wenn sich das bewahrheiten sollte, ist das Problem der fremdenfeindlichen Gewalt besonders in Ost- aber auch in Westdeutschland schon lange nicht mehr zu übersehen.
Rassistische Gewalt in Deutschland
Nach der Wiedervereinigung 1990 haben fremdenfeindliche Gewalttaten in ganz Deutschland plötzlich zugenommen. Besonders auffällig ist diese Entwicklung in den "neuen Bundesländern", also dem Teil Deutschlands, der zuvor DDR hieß. Die Brandanschläge auf mehrere Asylbewerberheime waren das erste sichtbare Zeichen dafür, dass sich Ausländer in einigen Teilen Deutschlands nicht mehr sicher fühlen können.
Doch auch um die "alten Bundesländer" macht die rechte Gewalt keinen Bogen. Fernsehbilder von randalierenden und Naziparolen brüllenden Jugendlichen haben sich tief ins Bewusstsein der Menschen eingebrannt. In Deutschland gibt es nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz etwa 10.000 gewaltbereite junge Menschen, die meisten von ihnen gehören der rechtsextremistischen Szene an.
Wir erinnern an die schwersten fremdenfeindlichen Gewalttaten seit der Wiedervereinigung:
Hoyerswerda, September 1991
In der sächsischen Stadt Hoyerswerda, die etwa 35 Kilometer südlich von Cottbus gelegen ist, griffen im September 1991 hunderte Neonazis ein Ausländerwohnheim an. Sie warfen brennende "Molotow-Cocktails" in das Gebäude, um es in Brand zu setzen.
Tagelang lieferten sich die rechtsextremistischen Gewalttäter Straßenschlachten mit der Polizei. Das Erschreckende dabei war, dass die Bevölkerung dem braunen Mob applaudierte. Durch diese Sympathiebekundungen wurde deutlich, dass die ausländerfeindlichen und rassistischen Ansichten der Neonazis von vielen Menschen geteilt und befürwortet wurden.
Rostock-Lichtenhagen, August 1992
400 Jugendlichen warfen Steine und brennende Molotow-Cocktails in ein von Vietnamesen bewohntes Haus im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen (Mecklenburg Vorpommern). Vielen hundert Schaulustige sahen sich das Spektakel an. Keiner griff ein, stattdessen ernteten die Täter Applaus.
Etwa 150 verängstigte Bewohner mussten sich über das Dach in ein Nachbarhaus retten. Die Polizei zog sich zurück und ließ den Mob gewähren. Es ist nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die Bewohner des Asylbewerberheimes nicht hätten fliehen können. Erst nach drei Tagen brachte die Polizei die Lage unter Kontrolle.
Mölln, 23. November 1992
Um 0.31 Uhr klingelte das Telefon in der Notdienstzentrale des kleinen, 18.000-Einwohner-Städtchens Mölln (Schleswig Holstein). Der Anrufer meldete sich mit den Worten: "In der Ratzeburger Straße brennt es. Heil Hitler!" Eine halbe Stunde später folgte ein weiterer Anruf: "In der Mühlenstraße brennt es. Heil Hitler!"
In einem der beiden Häuser starben drei Türkinnen. Neonazis hatten zunächst Benzin ins Treppenhaus geschüttet, die Flüssigkeit angezündet und schließlich einen Molotow-Cocktail auf die Rückseite des Hauses geworfen. Für die Bewohner im ersten Stock waren dadurch alle Fluchtwege versperrt. Die Opfer, eine 51-jährige Frau und zwei Mädchen, zehn und 14 Jahre alt, kamen in den Flammen ums Leben.
Solingen, 29. Mai 1993
Das ausgebrannte Haus in Solingen (Nordrhein-Westfalen) wurde zum Symbol für den mörderischen Ausländerhass. Am 29. Mai 1993 starben zwei türkische Frauen und drei Kinder bei dem Brandanschlag. Einige Bewohner, die sich retten konnten, haben schwere Brandwunden davongetragen.
Vier junge Männer hatten sich mit einem Benzinkanister in den Hausflur der Familie geschlichen und das Feuer gelegt. Das Motiv für die Tat: Ausländerhass. Einer der festgenommen Täter war damals gerade einmal 16 Jahre alt und wohnte im Haus gegenüber.
Guben, 13. Februar 1999
Der Tod des algerischen Asylbewerbers Omar Ben Noui sorgte weltweit für Schlagzeilen. In der 20.000-Einwohner-Stadt Guben (Brandenburg) wurden er und sein Freund von einer Gruppe gewalttätiger Jugendlicher aus der rechten Szene durch die Straßen gehetzt. Dabei war er eigentlich nach Deutschland gekommen, um Schutz zu finden
Omar versuchte, sich vor der herannahenden Meute in ein Wohnhaus zu retten und trat voller Panik eine Glastür ein. Dabei verletzte er sich so stark am Bein, dass er innerhalb weniger Minuten starb. Er war 28 Jahre alt. Die Polizei verhaftete anschließend zunächst seinen Freund. Erst später ermittelt sie gegen die wahren Verantwortlichen der Tat. Elf junge Männer im Alter zwischen 17 und 20 Jahren wurden angeklagt. Drei wurden freigesprochen, acht erhielten eine milde Strafe. Eine Gedenktafel für das Opfer wurde später mehrmals beschädigt und schließlich entfernt.
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