Islandpferd: Das Kleine mit den fünf Gängen

von Antje Leser - 01.08.2013

Klein, aber oho! Das Islandpferd ist in Deutschland schwer im Rennen. Aber was ist eigentlich so besonders an diesen kleinen, zotteligen Pferden? Vom 4. bis zum 11. August findet im Pferdesportpark Karlshorst in Berlin Lichtenberg die Islandpferde-Weltmeisterschaft statt, bei der preisgekrönte Islandpferde ihr Können unter Beweis stellen. Eine Weltmeisterschaft nur für eine einzige Pferderasse - wo gibt's denn sowas? Und warum nicht auf Island? Erfahre mehr über die intelligenten und robusten Tiere, die in Island unter besonderem Schutz stehen.

Auf Island lebten die robusten Pferde schon immer halbwild in Herden. Während der Sommermonate ist das auch heute noch so. (Quelle: David Gil/ Deivis, Flickr.com (CC BY-SA 2.0) )

Typisch für Islandpferde ist der eher kleine und stämmige Körper, der mit zotteligem Fell bedeckt ist. Die beliebten Pferde, auf die die Menschen in Island so stolz sind, gelten als äußerst intelligent und widerstandsfähig. Heute werden die Tiere in ihrer Heimat auf Island mit strengen Auflagen besonders geschützt, um die Gesundheit und Reinheit der Pferderasse zu erhalten. Doch wie kamen die Pferde eigentlich auf die Insel im hohen Norden und was ist so besonders an ihnen?

Im 9. Jahrhundert landeten die ersten Wikinger mit ihren Drachenbooten auf der Insel aus Feuer und Eis. An Bord befanden sich ihre Familien und das Vieh, denn die Nordmänner hofften, zwischen Vulkangestein, Geysiren (heiße Quellen, aus denen immer wieder Wasser emporschießt) und Ödland ein Plätzchen zum Siedeln zu finden. Das Wertvollste in ihrem Besitz waren ihre kleinen, stämmigen Pferde, eine Mischung aus Kelten- und Germanenponys, aus denen sich das heutige Islandpferd entwickelt hat. Trotz seiner Größe war es kräftig und ausdauernd und konnte mühelos einen erwachsenen Krieger tragen. Das Besondere an ihm war jedoch, dass es neben den Grundgangarten Schritt, Trab und Galopp zwei weitere Gangarten beherrschte: den so genannten "Tölt", mit dem man bequem und erschütterungsfrei über die Insel reiste, und den "Pass", der einem in Windeseile von A nach B brachte (mehr zu den Gangarten erfährst du im letzten Abschnitt).

Die Nordmänner und ihre sagenhaften Begleiter

Odins Pferd Sleipnir hatte der Sage nach acht Beine. (Quelle: W.G. Collingwood, Wikimedia Commons)

Das erste schriftlich erwähnte Pferd hieß Fluga, das bedeutet "die Fliegende". Ihr Name taucht in einer isländischen Chronik auf, dem "Landnámabók", das von der Besiedlung Islands berichtet. Flugas Name passte gut zu ihr: Kaum hatte sie das schaukelnde Boot der Wikinger verlassen, machte sie auch schon "die Fliege" und galoppierte den Neuankömmlingen davon.

Dass sie überhaupt erwähnt wurde, beweist, wie wichtig den damaligen Siedlern ihre Pferde waren. Sie waren das einzige Fortbewegungsmittel in dieser rauen Landschaft. Über viele Kilometer transportierten sie Waren und Baumaterialien oder schufteten auf den Feldern. Doch sie waren nicht nur Arbeitstiere. Mit ihrem Temperament, ihrem guten Charakter und ihrer Schönheit eroberten sie sich die Herzen der Menschen. Sagen und Lieder entstanden und noch heute beweisen Grabfunde, dass so manches Pferd seinem Besitzer sogar mit ins Grab folgte, damit dieser würdig in Walhall, der Ruhmeshalle im Jenseits, einreiten konnte.

Auch in den isländischen Sagen und Mythen spielen Pferde und deren Namen eine große Rolle. Die "Edda", ein Lehrbuch für die nordische Dichtung des 12. Jahrhunderts, erzählt vom Göttervater Odin, der seinem Pferd den Namen Sleipnir ("der Geschickte") gab. Es hatte acht Beine, mit denen es durch Himmel und Hölle flitzte. Und wer einmal beobachtet, wie schnell Islandpferde ihre Beine bewegen können, der versteht, warum die Sage von einem achtbeinigen Pferd handelt. Noch heute wählen isländische Pferdebesitzer für ihre Tiere Namen aus den nordischen Sagen. Andere entscheiden sich für Namen, die das Aussehen oder besondere Charaktereigenschaften ihrer Pferde beschreiben. Pferdenamen gelten in Island als Glücksbringer und werden sogar Flugzeugen und Schiffen gegeben.

Die älteste Reinzucht der Welt

Nach Island dürfen keine fremden Pferde verschifft werden und auch Islandpferde können nicht wieder zurück auf die Insel gebracht werden, wenn sie diese einmal verlassen haben. Wahrscheinlich ist das Islandpferd deshalb auch so robust und kerngesund. (Quelle: Dagur Brynjólfsson, Flickr.com (CC BY-SA 2.0))

Das Islandpferd gilt als die älteste Reinzucht der Welt, denn schon vor 1.000 Jahren beschlossen die Siedler beim "Althing", einer isländischen Parlamentssitzung, ihre Pferde nicht mit anderen Rassen zu kreuzen. Es wurde ein Einfuhrverbot für fremde Pferde erlassen, das noch heute gilt. Der isländische Boden ist übrigens nicht nur für sie tabu. Es dürfen auch keine Islandpferde zurückkehren, wenn sie einmal die Insel verlassen haben. Damit wird verhindert, dass Krankheiten und Seuchen vom Festland eingeschleppt werden.

Wahrscheinlich ist das Islandpferd deshalb auch so robust und kerngesund. Übrigens gilt dieses Importverbot auch bei internationalen Turnieren. Nach der diesjährigen WM in Berlin werden die Pferde aus dem isländischen Nationalteam verkauft und die Isländer müssen sich vorher sehr gut überlegen, welchen ihrer vierbeinigen Stars sie mit nach Deutschland nehmen. Und eine Weltmeisterschaft in Island wird es leider auch niemals geben, denn die internationale Konkurrenz darf schließlich nicht einreisen!

Was aber noch zu klären wäre: Ist der 1,30 bis 1,50 Meter große Isländer jetzt eigentlich ein Pferd oder ein Pony? In der isländischen Sprache gibt es nur das Wort "hestur" für Pferd. Doch da das Islandpferd das einzige Pferd auf der Insel ist, ist es für die isländischen Züchter gar nicht nötig, zwischen Pony und Pferd zu unterscheiden. Strenggenommen zählt der Isländer von der Rasseherkunft und Größeneinteilung international zu den Ponyrassen. In Deutschland besitzt ein Pony jedoch höchstens ein Stockmaß von 130 Zentimetern, während ein Großpferd bei 147,3 Zentimetern beginnt. Daher haben die Deutschen zu einem Trick gegriffen: Sie bezeichnen den Isländer einfach als Kleinpferd!

So artgerecht wie möglich

Isländer haben ein besonders dickes Fell, das auch den rauen Witterungen im hohen Norden standhält. (Quelle: Sela Yair, Flickr.com (CC BY-SA 2.0))

Auf Island lebten die robusten Pferde schon immer halbwild in Herden. Während der Sommermonate ist das auch heute noch so. Kein Tierarzt schaut nach ihnen und auch kein Schmied, bis sie kurz vor Wintereinbruch zurück ins Tiefland getrieben werden. Dabei verrät eine Kerbe im Ohr, eine Brandnummer auf dem Rücken oder ein Chip den Pferdebesitzern, zu welchen Höfen die Tiere gehören. In Deutschland setzt sich der IPZV ("Islandpferde-Reiter- und Züchterverband e.V."), der Dachverband aller Islandpferdevereine, dafür ein, dass die Pferde so artgerecht - also so natürlich - wie möglich gehalten werden.

Die Tiere leben in großen Offenställen und auf ausgedehnten Weiden. Sie ernähren sich von frischem Gras, Heu und Stroh, bekommen Kraftfutter, wenn sie regelmäßig geritten werden und natürlich einen Salzleckstein. Für Nachwuchs sorgt ein Deckhengst, der die Stuten im Natursprung, also frei auf der Weide, deckt. Islandpferde sind sehr fruchtbar. Eine Stute kann in ihrem Leben bis zu 15 Fohlen haben. Die Kleinen kommen ohne fremde Hilfe zur Welt und wachsen in ihren Herden ohne großen Kontakt zum Menschen auf. Vier Jahre lang dürfen sie dort spielen und mit ihren Artgenossen balgen. Auf diese Weise lernen sie schon früh, wie man sich in einer Herde zu benehmen hat. Islandpferde sind "Spätzünder". Sie werden nicht vor ihrem vierten Geburtstag eingeritten und sind erst mit sieben Jahren ausgewachsen.

Zur Zucht und zu Turnieren zugelassen werden nur "reingezogene" Tiere. In ihren Papieren kann man nachlesen, dass ihre Vorfahren auf Island geboren wurden. Nach Island ist Deutschland übrigens das größte Zuchtgebiet für Islandpferde. Mittlerweise leben hier mehr als 65.000 Tiere. Und es gibt sie in fast allen Farben: die hellen Schimmel, Braune, die rötlich gefärbten Füchse, Rappen mit ihrem schwarzen Fell und sogar Falben mit einem schwarzen Aalstrich (ein Streifen, der sich über den ganzen Rücken bis in den Schweif zieht). Manche Pferde, die so genannten "Farbwechsler", ändern je nach Jahreszeit die Fellfarbe, andere sind "windfarben", das heißt, dass ihre Mähne hell ist, während der Körper eine dunkle Färbung hat. Ein besonderes Merkmal der Islandpferde ist ihr üppiger Behang, der sie von jeher vor den harten Witterungsbedingungen auf Island geschützt hat. Ihr langes und dichtes Winterfell sorgt dafür, dass sie zu keiner Zeit des Jahres einen Stall benötigen. Islandpferde können übrigens 35 Jahre und älter werden (das bisher älteste wurde knapp 60 Jahre alt!) und man kann sie noch mit über 25 Jahren reiten. Ein Freund fürs Leben also!

Horsepower: vom Nutztier zum Freizeitpartner

Islandpferde gibt es in fast allen Farben - helle Schimmel (Bild), Braune, rötlich gefärbte Füchse, Rappen mit ihrem schwarzen Fell und sogar Falben mit einem schwarzen Aalstrich über dem Rücken. (Quelle: Gitti Moser/ pixelio.de)

Mit der Industrialisierung und spätestens mit den ersten Autos wurde das Pferd als Transportmittel auf Island überflüssig. Um es als Freizeitpartner für die Isländer attraktiv zu machen, wurde 1950 das "Landsmót" eingeführt, eine Pferdeschau, bei der die Züchter ihre Pferde in verschiedenen Disziplinen vorführten. Ungefähr zeitgleich machte die deutsche Journalistin und Autorin Ursula Bruns bei ihrer Recherche für das Pferdebuch "Dick und Dalli und die Ponys" Bekanntschaft mit den quirligen Islandpferden. Ihre Bücher wurden unter dem Titel "Die Mädels vom Immenhof" in Deutschland mit großem Erfolg verfilmt. 1957/58 beteiligte die Autorin sich am ersten großen Islandpferde-Import (Import bedeutet "Einfuhr" in ein Land) und der Wunsch, ein Islandpferd zu besitzen, machte in Deutschland die Runde. 1960 fand die erste deutsche Islandpferdemeisterschaft statt und sieben Jahre später entstand der IPZV.

Islandpferde sind ausgezeichnete Geländepferde und werden gerne auf Wanderritten mitgenommen. Sie sind ausdauernd, trittsicher und haben vor nichts Angst. Man kann sie alleine oder in großen Gruppen reiten, denn durch ihre artgerechte Haltung in der Herde sind sie in der Regel ausgeglichen und äußerst gehfreudig. Man bezeichnet sie als "Gewichtsträger", denn ihr kompakter und kräftiger Körperbau kann auch einen erwachsenen Reiter problemlos tragen.

Die meisten Islandpferdehöfe bieten Reitstunden an, in denen erklärt wird, wie man ein "Gangpferd", also ein Pferd, das mehr als die drei Grundgangarten beherrscht, reitet. Islandpferde werden übrigens mit einem speziellen, relativ kurzen Gangpferdesattel geritten. Er ist besonders flach, so dass man beim Reiten seine Sitzposition je nach Gangart variieren kann. Die meisten Islandpferde werden alle zwei Monate mit Hufeisen beschlagen.

Sportskanone mit fünf Gängen

Isländer sind sehr sportlich und beherrschen verschiedene Gangarten - zum Beispiel den ihnen angeborenen Tölt. Bild: Windfarbener Isländer im Tölt (Quelle: Dagur Brynjólfsson, Flickr.com (CC BY-SA 2.0))

Als Sportpferd muss der Isländer ganz bestimmte Prüfungen bestehen, die sich von herkömmlichen Turnieren unterscheiden. Statt Dressurviereck oder Springplatz gibt es hier die so genannte "Ovalbahn". Wie der Name schon sagt, geht es hier um eine ovale Reitbahn mit fein geschottertem Untergrund. Hier stellen Pferd und Reiter Ihr Können bei der Gangart Tölt unter Beweis.

Der Tölt ist eine dem Isländer angeborene Gangart ohne Schwebephase, bei der abwechselnd ein oder zwei Hufe den Boden berühren. Dabei wechseln sich Ein- und Zweibeinstützen so ab, dass die Zweibeinstützen erst "lateral", also auf beiden Seiten gleichzeitig, und dann wieder "diagonal", also schräg verlaufend, sind. Der Tölt ist ein Viertakt, das heißt, dass man immer vier Hufschläge in gleichmäßigem Abstand hört - beim Trab hörst du im Vergleich dazu nur zwei Schläge, im Galopp drei. Auch das Urpferd konnte tölten. Im Mittelalter wurden die so genannten "Zelter" wegen dieser Gangart besonders bei den Damen und den weniger reitbegeisterten Mönchen geschätzt. Mit dem Einsatz von Kutschen wurde der Tölt jedoch bei den meisten Warmblütern weggezüchtet. Viele Islandpferde tölten von Geburt an, andere müssen den Tölt erst "lernen", man nennt das "Eintölten". Während der Turniere wird der Tölt in verschiedenen Geschwindigkeiten geritten und das Pferd kann dabei auf bis zu 40 Kilometer pro Stunde kommen.

Für das spektakuläre Rennpassreiten gibt es eine extra Passbahn von ungefähr 250 Metern Länge. Der Pass wird nur über kurze Strecken und nur im Renntempo geritten - der langsame Pass gilt als fehlerhaft und wird scherzhaft als "Schweinepass" bezeichnet. Im Gegensatz zum Tölt ist das Talent für den Pass allerdings nicht in den Genen der Tiere festgelegt. Pferde, die den Pass beherrschen, nennt man "Fünfgänger". In Island gilt die Gangart als "Königsdisziplin", denn sie erfordert viel Erfahrung und reiterliches Können. Als Zweitakt in vier (streng genommen acht) Phasen fußen die gleichseitigen Beinpaare nahezu gleichzeitig auf, dazwischen liegt jeweils eine Flugphase. 2012 wurde der neue Rennpassweltrekord mit umgerechnet 51,8 Kilometern pro Stunde von Carina Mayerhofer aus Österreich auf dem Pferd Frami von St. Oswald aufgestellt (6,95 Sekunden auf 100 Meter).

Bei der Weltmeisterschaft in Berlin werden diese beiden Disziplinen sicherlich die Hauptattraktion sein. Daneben kann man sich die so genannten Mehrgangprüfungen ansehen, in denen neben Tölt die üblichen Gangarten Schritt, Trab und Galopp gezeigt werden. Zugelassen sind Reiter ab 21 Jahren und es gibt ein eigenes A-Finale für Jungreiter ab 16 Jahren. Benotet wird nach einem Punktesystem in 0,5er Schritten. Die Bestnote ist 10. Entscheidend bei der Bewertung sind Takt, Haltung, Bewegung, Ausdruck und Reitweise. Bei vielen Turnieren gibt es darüber hinaus zusätzlich Gehorsamkeitsprüfungen, Fahnenrennen oder Reiterspiele. Auf den jährlichen DIJM (Deutsche Islandpferde Jugendmeisterschaften) können bereits Kinder und Jugendliche ihr reiterliches Talent beweisen.

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letzte Aktualisierung: 03.08.2013

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