20.01.2012
Am Abend des 13. Januars ist ein riesiges Kreuzfahrtschiff vor der Küste Italiens auf Grund gelaufen. Das Schiff war zuvor zu dicht ans Ufer gekommen. Dort war es im flachen Wasser mit einem Felsen zusammengestoßen, der einen bis zu 70 Meter langen Riss im Rumpf verursachte. Das Schiff lief voll Wasser und kippte auf die Seite. An Bord waren mehr als 4.200 Menschen, von denen sich die meisten retten konnten. Aber noch immer werden mehr als 20 Personen vermisst und die Chancen, sie lebend zu retten, werden immer geringer.
Das Urlauberschiff "Costa Concordia" ist unterwegs auf einer Reise durch das Mittelmeer. Am Freitag, den 13. Januar, gegen 21 Uhr nimmt es Kurs auf die Insel Giglio vor der Küste der Toskana. Viele Passagiere sitzen gerade beim Abendessen, als um 21.45 Uhr ein gewaltiger Schlag das Riesenschiff erschüttert. Teller fliegen vom Tisch, Tische und Stühle fallen um, Reisende stolpern übereinander. Dann geht auch noch das Licht aus. Niemand weiß, was passiert ist. Wenig später geht das Licht wieder an.
Erst eine Stunde danach, um 22.42, gibt es eine erste Durchsage: "Meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich bitte um ihre Aufmerksamkeit. Wegen technischer Probleme haben wir gerade einen Black Out. Es besteht kein Grund zur Panik, bitte bleiben Sie ruhig. Unsere Techniker arbeiten schon daran, um das Problem zu lösen. Vielen Dank." Wenig später neigt sich das Schiff gefährlich zur Seite. Die Leute werden immer unruhiger und viele rennen nach draußen und sehen, dass sich das Schiff sehr nahe an der Küste befindet. Als erneut das Licht ausgeht und das Boot sich immer mehr neigt, bricht Panik aus und die Passagiere versuchen, das Schiff zu verlassen.
Chaos an Bord
Es stellt sich heraus, dass die Mannschaft überhaupt nicht auf einen solchen Notfall vorbereitet ist. Die Besatzung hat die Lage kaum unter Kontrolle und die Passagiere sind sich zum großen Teil selbst überlassen. Es gibt noch nicht einmal für jeden Reisenden eine Schwimmweste. Mitglieder der Besatzung sind nicht zu sehen.
Deswegen werden viele Rettungsarbeiten von Besatzungsmitgliedern geleitet, die eigentlich gar nicht dafür ausgebildet sind. So helfen Putzkräfte, Kellner und Köche in dem Durcheinander und sagen den Kreuzfahrtpassagieren, was zu tun ist. Als endlich Rettungsflöße ins Wasser gelassen werden sollen, bleiben diese hängen oder kippen um. Dadurch wird die Lage immer chaotischer und viele Passagiere haben Angst, mit dem Schiff unterzugehen. Viele springen ins Wasser, um ihr Leben zu retten.
Unterdessen sind auch Rettungskräfte auf dem Festland alarmiert. Italienische Wasserpolizei, Feuerwehrleute und Ärzte helfen den Überlebenden. Sie ziehen sie aus dem Meer oder retten sie aus dem Wrack, das aus dem Wasser ragt. Die Rettungsarbeiten dauern bis zum frühen Samstagmorgen an. Die Geretteten werden von den Bewohnern der Insel Giglio mit Decken und heißen Getränken empfangen. Viele verbringen die Nacht bei Einwohnern der kleinen Hafenstadt, in öffentlichen Gebäuden oder Kirchen.
Helfer retten Überlebende
Da es noch viele Vermisste gibt, versuchen Helfer der italienischen Küstenwache, den ganzen nächsten Tag über auf der "Costa Concordia" noch weitere Passagiere zu finden. In dem Wrack werden noch immer mehr als 20 Personen vermutet, unter ihnen auch einige deutsche Urlauber. Das Wrack und das Meer rund um die Unglückstelle werden abgesucht.
In den unter Wasser liegenden Teilen der "Costa Concordia" beginnen Taucher mit ihrer gefährlichen Arbeit, um zu überprüfen, ob noch irgendwo im Bauch des Riesen Menschen eingeschlossen sind. Um besser in das Schiff zu kommen, sprengen sie Löcher in den Schiffsrumpf. Erste Erfolge stellen sich ein. So finden die Hilfsmannschaften mehr als einen Tag nach der Katastrophe ein Hochzeitspaar aus Korea. Das Paar hatte in seiner Kabine ausgeharrt und mit Klopfzeichen und Schreien die Retter auf sich aufmerksam gemacht. Auch ein Offizier der Crew, also der Schiffbesatzung, kann gerettet werden.
Es droht eine Umweltkatastrophe
Die Rettungsarbeiten dauern immer noch an. Die Helfer arbeiten gegen die Zeit. Einerseits wird es immer unwahrscheinlicher, noch Überlebende zu finden, andererseits wird das Wetter immer stürmischer und behindert die Arbeiten. Durch die starken Wellenbewegungen besteht zusätzlich die Gefahr, dass das Wrack weiter ins Meer abrutscht, weil es am Rand eines Abgrundes gestrandet ist.
Auch für die Umwelt ist das Schiffswrack eine große Gefahr. Die "Costa Concordia" hat noch über 2.400 Tonnen Schweröl und Diesel an Bord, die als Treibstoff für die Schiffsmotoren dienten. Wenn das Schiffswrack weiter beschädigt wird oder auseinanderbricht, droht der Küste eine Ölkatastrophe. Dadurch könnten viele Tiere, die im Meer und an der Küste leben, sterben.
Deshalb soll eine holländische Spezialfirma das Öl aus dem Schiff abpumpen. "Wir wollen natürlich anfangen, die Tanks zu leeren. Aber das hängt eben von der Bergung der Personen ab, die noch im Inneren des Schiffes sein könnten", sagte Italiens Umweltminister Corrado Clini. Die Arbeiten würden aber nicht vorher beginnen, so der Politiker. Das Absaugen selbst könnte bis zu zwei Wochen dauern. Eine große Gefahr besteht darin, dass das Schiff leichter wird, wenn man den Treibstoff abpumpt. Dadurch könnte das Wrack instabil werden. Die Gefahr, dass es zerbricht oder noch tiefer ins Meer sinkt, steigt damit.
Riskante Schiffsmanöver
Schon kurz nach dem Unglück ist der Kapitän des Schiffes, Francesco Schettino, in die Kritik geraten. Der erste Vorwurf gegen den 52-Jährigen betrifft die Route des Ozeandampfers. Die "Costa Concordia" war auf dem Weg von Civitaveccia nach Savona bei Genua. Die Insel Giglio lag überhaupt nicht auf der offiziellen Strecke des Schiffes. Dennoch steuerte Schettino das Schiff zur Insel. Dabei fuhr er näher an die Küste, als es erlaubt ist. Der Mindestabstand ist mit drei Seemeilen vorgeschrieben, das sind etwa 4,5 Kilometer.
Der Unfall ereignete sich etwa 150 Meter vom Ufer entfernt. Ein Zwischenhalt auf der Insel Giglio war nicht vorgesehen. Doch wie Zeugen nach dem Unfall berichteten, wollte der Kapitän den Oberkellner der "Costa Concordia" an Land setzen, da dieser von der Insel stammt. Um den Eltern die Ankunft des Sohnes anzukündigen, wollte Schettino mit der Schiffssirene hupen und dann vor der Insel mit seinem 300 Meter langen Schiff eine Wende fahren. Das soll er schon öfter gemacht haben, berichten Inselbewohner. Der Bürgermeister der Stadt hatte sich sogar im vergangenen Jahr bei der Reederei der "Costa Concordia" bedankt, dass das Schiff so nah an der Insel vorbeifährt. Das sei eine Attraktion für die Touristen und Inselbewohner.
Noch mehr Vorwürfe
Weitere Kritik handelte sich der Kapitän ein, weil der Alarm viel zu spät ausgelöst wurde und damit wertvolle Zeit für die Rettung der Menschen verstrichen ist. Zudem war das Personal des Schiffes offenbar nicht auf einen Ernstfall vorbereitet worden. Der schwerste Vorwurf betrifft aber das Verhalten des Kapitäns kurz nach dem Unfall. So soll Schettino das Schiff als einer der ersten verlassen haben. Normalerweise muss ein Kapitän bei einem Unglück als letzter das Schiff verlassen. Schettino jedoch befand sich früh an Land und beobachtete von dort die Rettungsbemühungen.
Er entschuldigte sich später damit, dass er bei einer Rettungsaktion "versehentlich in ein Rettungsboot" gefallen sei. Als das Boot dann im Wasser gewesen sei, habe er nicht mehr aufs Schiff zurück gekonnt. Fachleute glauben, Schettino rede sich heraus und bezweifeln diese Version, weil sich auch noch andere Offiziere der Schiffsbesatzung in dem Rettungsboot befanden. Für Empörung sorgte ein aufgezeichnetes Telefongespräch aus der Unglücksnacht. Der Chef der Hafenkommandantur in Livorno, de Falco, rief Kapitän Schettino an und wollte wissen, wie die Lage an Bord ist. Der Kapitän sagte daraufhin, dass er gar nicht mehr auf dem Schiff sei. De Falco befahl daraufhin dem Kapitän, zurück an Bord zu gehen, um die Rettungsarbeiten zu überwachen.
Inzwischen hat die italienische Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Schettino aufgenommen. Die Behörden werfen ihm fahrlässige Tötung und vorzeitiges Verlassen des Unglücksortes vor. Nachdem der Kapitän in Untersuchungshaft genommen wurde, befindet er sich wieder auf freiem Fuß, darf aber sein Haus nicht verlassen. Dem Kapitän drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis, wenn er verurteilt wird.
Kreuzfahrtanbieter sparen seit Jahren
Das Unglücksschiff
Die "Costa Concordia" ist ein Kreuzfahrtschiff, auf dem fast 5.000 Menschen Platz finden. Das Schiff gehört der Kreuzfahrtgesellschaft "Costa Crociere" aus der italienischen Hafenstadt Genua. Die "Costa Concordia" ist das erste von insgesamt fünf Kreuzfahrtschiffen der so genannten Concordia-Klasse. Das Schiff wurde im Jahr 2006 in Dienst gestellt und ist etwa 290 Meter lang, 36 Meter breit und hat einen Tiefgang von rund acht Metern. Das Schiff erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 23 Knoten, das sind etwa 43 Kilometer pro Stunde. Das Schiff ist luxuriös ausgestattet. So gibt es fünf Restaurants, 13 Bars, fünf Whirlpools, vier Swimmingpools, Wellness- und Fitnessbereiche und ein eigenes Theater an Bord.
Experten sehen in dem Unglück des Kreuzfahrtschiffes ein Zeichen, dass die Tourismusbranche allgemein überprüft werden muss. Immer mehr Menschen fahren auf immer größeren Schiffen. Es werden stets noch gigantischere Schiffe gebaut, um die Kosten niedrig zu halten und mehr Geld verdienen zu können. Hinzu kommt, dass oftmals nur billige Arbeitskräfte angeheuert werden, die zum Teil keine ordentliche Ausbildung haben. Zudem muss die Schiffsbesatzung oftmals länger arbeiten, als es erlaubt ist. Fragen muss man auch: Wie kann es sein, dass auf einem Schiff mit über 4.000 Menschen nicht genügend Rettungswesten bereitstehen? Wieso wurde zu Beginn der Fahrt keine Rettungsübung durchgeführt? Wieso fehlte es an ausgebildetem Personal, das die Rettungsmaßnahmen fachmännisch leiten konnte?
Der Eigentümer der "Costa Concordia" ist die Gesellschaft "Costa Crociere". Sie gehört zum Weltmarktführer für Kreuzfahrten, der US-amerikanischen Gesellschaft Carnival Corporation. Carnival Corporation hat im vergangenen Jahr einen Gewinn von 1,9 Milliarden Dollar gemacht. Da der Gewinn pro Passagier in den letzten Jahren immer geringer geworden ist, planen die Kreuzfahrtanbieter, in Zukunft Schiffe zu bauen, die bis zu 6.000 Passagiere und 1.800 Besatzungsmitglieder aufnehmen können. Bei solchen Passagierzahlen werden Rettungsarbeiten in Notfällen immer schwieriger. Weil die laufenden Kosten für die Schiffe sehr hoch sind, sind diese so oft wie möglich und mit so vielen Passagieren wie möglich auf See.
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