Vor 5.500 Jahren begann der Mensch, das Pferd für seine Zwecke zu nutzen. Seither kann so manches Pferd von leidvollen Erfahrungen mit dem Menschen berichten. Aber es geht auch anders. Beim Natural Horsemanship versucht der Mensch, dem Pferd gerecht zu werden. Was ist eigentlich das Geheimnis der Pferdeflüsterer?
Das schwarze, nervöse Pferd ist kaum wiederzuerkennen. Gelassen geht er an den aufgehängten Plastiktüten vorbei. Das hatte niemand für möglich gehalten. Auch über raschelnde Planen läuft der Rappe locker, ein plötzlich aufgespannter Schirm kann ihm gar nichts anhaben. Dabei hält sein Trainer die Führleine nur locker in der Hand. Das Seil hängt durch, eine Peitsche braucht er nicht.
Das Wort horse-man-ship, abgeleitet von dem englischen friendship (Freundschaft), bedeutet Pferd-Mensch-Partnerschaft. Der Name ist Programm: Grundlage jeder Arbeit mit dem Pferd, sei es bei der Huf- und Fellpflege, beim Führen, Verladen und beim Reiten, ist Vertrauen zwischen Mensch und Pferd. Das Pferd wird nicht als bloßes gefügiges Tier gesehen, das zu tun hat, was der Reiter sagt.
Vielmehr wird das Pferd als eigenständiges Wesen behandelt, das sich freiwillig auf die Partnerschaft mit dem Menschen einlässt. Mehr und mehr hält die in den USA wurzelnde Methode Einzug in den deutschen Reitsport. Ob Freizeitreiter, Westernreiter, bei der Dressur oder beim Springen, die faszinierende Art, mit Pferden umzugehen können schon Kinder ab acht Jahren an immer mehr Reiterhöfen in Deutschland lernen. Trainer heilen "schwierige" Pferde scheinbar mühelos, kaum ein gefährliches Pferd widersetzt sich der hilfreichen Methode. Was ist das Geheimnis der Pferdeflüsterer?
Flüstern in der Pferdesprache
Beim Natural Horsemanship lernt der Mensch die Pferdesprache. Mit dem Film "Der Pferdeflüsterer" wurde diese Methode auch in Deutschland bekannt. Robert Redford heilt in dem Film ein durch einen schweren Unfall traumatisiertes Pferd, das keinen Menschen mehr an sich heranlässt. Ins Ohr geflüstert hat Redford dem Pferd aber gar nichts. Das Geheimnis liegt darin, sich dem Pferd in seiner Sprache verständlich zu machen. Und das ist hauptsächlich die Körpersprache.
In der freien Wildbahn mussten Pferde sich möglichst still und unauffällig verhalten, um nicht von Raubtieren entdeckt zu werden. Lautlos verständigten sich die Pferde in der Herde mit dem Körper. Ohren anlegen, Kopf schütteln, mit dem Körper zeigen "geh weg" oder "komm her", die unhörbare Sprache in der Herde ist sehr ausgefeilt. Und diese Sprache wird beim Horsemanship nachgemacht. Zur artgerechten Haltung gehört, dass die Pferde in der Herde gehalten werden.
Vertrauen schaffen
Die Pferdesprache kann der Mensch nun einsetzen, um mit dem Pferd in Beziehung zu kommen. Pferde sind von Natur aus soziale und neugierige Wesen. Das heißt, sie lassen sich erst einmal gerne auf den Menschen ein. Wenn der Mensch dem Pferd eindeutige Signale geben kann, findet das Pferd Sicherheit.
Pferde sind Herdentiere, und als solche ordnen sie sich von Natur aus unter und suchen Sicherheit bei jemanden, der sie führt. Gibt der Mensch Ihnen nun verständliche und eindeutige Signale, fasst das Pferd schnell Vertrauen. Als Basis für die Beziehung sind deshalb beim Horsemanship die Signale bei der Bodenarbeit sehr wichtig. Das heißt, bevor das Pferd geritten wird, soll durch die Lektionen am Boden Vertrauen zwischen Mensch und Pferd entstehen.
Körperdrehung statt Peitsche
Häufig wird das Pferd dazu im Round Pen bewegt, ein rundes Gatter, in dem das Pferd ohne Longe und Peitsche im Kreis läuft. Der Mensch hat nur ein Seil in der Hand, das er als Hilfsmittel einsetzt. Ziel ist es, zunächst die Aufmerksamkeit des Pferdes zu bekommen.
Dazu fordert der Mensch das Pferd auf, vorwärts zu gehen, die Richtung zu wechseln, stehen zu bleiben oder in die Mitte zu kommen. Zum Vorwärtsgehen bleibt er immer hinter dem Pferd, zum Drehen und Stehenbleiben geht er in Richtung vor das Pferd. Ein gebeugtes Rückwärtsgehen animiert das Pferd dazu, in die Mitte zu kommen. Auch Führen gehört zur Bodenarbeit.
Feintuning der Körpersprache
Das Führseil soll dazu durchhängen, das Pferd dreht nach links, wenn sich der Mensch zu seiner Hinterhand beugt und nach rechts, wenn der Mensch ihm mit der rechten Hand den Weg dorthin weist. Der "Schwiegermutterblick", so genannt von dem bekannten Pferdetrainer Pat Parelli, bewegt das Pferd dazu, rückwärts zu gehen. Dazu setzt der Mensch eine böse Grimasse auf und wackelt mit dem Seil oder der Hand - das Pferd weicht, eben wie vor einem Artgenossen, der die Ohren anlegt und es auffordert, auszuweichen.
Pferde registrieren feinste Bewegungen und auch Stimmungen. Deshalb braucht man viel Übung, bis die Bewegungen eindeutig sind und aus Unachtsamkeit keine Fehler mehr unterlaufen. Wichtig ist auch, dass der Mensch immer bestimmt ist und weiß, was er vor hat. Nur so kann er in der Führerrolle bleiben. So manches Pferd wird testen, ob der Mensch in seinen Anweisungen sicher ist - nur dann kann es schließlich Sicherheit finden und ihm vertrauen.
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