von Isabella Wojtiuk - 25.11.2005
In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag hatten viele Briten Grund zur Freude: Nach rund 90 Jahren wurde ein Gesetz außer Kraft gesetzt, wonach alle Kneipen und Bars pünktlich um 23 Uhr schließen mussten. In Zukunft dürfen Engländer Alkohol trinken, wann immer sie es wollen. Doch nicht alle sind darüber begeistert.
Das alte Gesetzt stammt aus der Zeit des Ersten Weltkriegs (1914 - 1918). Die britische Regierung befürchtete damals, dass ihre Soldaten und Männer, die in den Rüstungsfabriken arbeiteten, sich die Nächte mit Alkohol um die Ohren schlugen. Wer nämlich bis in die Morgenstunden sehr viele alkoholische Getränke wie Whiskey oder Bier trinkt, der hat am nächsten Tag einen schrecklichen "Kater" und ist zu keiner Arbeit mehr zu gebrauchen. "Kater" bedeutet, dass man nach einer durchzechten Nacht nicht nur starke Kopfschmerzen, sondern auch einen total verdorbenen Magen hat. Es geht einem im wahrsten Sinne des Wortes "kotzübel".
Doch selbst nachdem Großbritannien mit seinen Alliierten (Verbündeten) den Krieg gegen Deutschland und Österreich gewonnen hatte, blieb das strenge Gesetz bestehen. Viele Briten und Touristen, die das Land besuchten, ärgerten sich sehr darüber, dass man um Punkt 23 Uhr aus den "Pubs" (typisch englische Kneipen, gesprochen "Pabs") geworfen wurde. Sie wollten sich nicht von einem in ihren Augen total verstaubten Kriegs-Gesetz jeglichen Alkoholgenuss nach der Sperrstunde verbieten lassen. Zumal es in keinem anderen Land Europas eine ähnlich strenge Regelung gab.
Trinkfreudige Briten
Nun hat die Regierung nachgegeben und das umstrittene Gesetz geändert. Doch diese Entscheidung hat nicht nur Jubel in der englischen Bevölkerung ausgelöst. Viele Menschen üben scharfe Kritik daran, dass Alkohol künftig rund um die Uhr ausgeschenkt werden darf. Politiker, Wissenschaftler und viele andere Teile der Bevölkerung diskutieren derzeit heftig über das Thema Alkoholmissbrauch in Großbritannien.
Die Zeitung "The Independent" ("Die Unabhängige") schreibt, dass die Briten nach den Iren und den Finnen pro Kopf am meisten Alkohol in Europa trinken. Nun befürchten viele Experten, dass der Alkoholverbrauch mit dem neuen Gesetz noch weiter zunehmen wird. Denn Alkohol ist eine Droge, die zur Abhängigkeit führen kann. Sie schädigt die Gesundheit, da sie das Risiko, zum Beispiel an Leberkrebs zu erkranken, stark erhöht. Außerdem werden viele Menschen, die große Mengen Alkohol trinken, aggressiv. Sie beleidigen grundlos andere Leute oder werden sogar gewalttätig.
Weniger Prügeleien auf der Straße?
Die Mehrzahl der Abgeordneten im Parlament ist jedoch davon überzeugt, dass die neue Regelung sogar dazu beiträgt, das Alkoholproblem in Großbritannien zu bekämpfen. Bis jetzt war es nämlich so, dass viele Briten nach der Arbeit in den nächsten Pub gegangen sind, um dort so schnell wie möglich so viel wie möglich in sich hinein zu schütten. Viele wollten die Zeit bis 23 Uhr nutzen, um bis dahin so richtig "blau" zu sein.
Da zur Sperrstunde alle Menschen gleichzeitig die Pubs verlassen mussten, waren um kurz nach 23 Uhr die Straßen voller Kneipen-Gäste, von denen viele sehr betrunken waren. Weil Alkohol die Hemmschwelle senkt, kam es häufig zu Schlägereien. Es gab regelmäßig verletzte Betrunkene, die in Krankenhäusern behandelt werden mussten. In der Stunde vor Mitternacht hatten die britische Polizei und die Notdienste täglich alle Hände voll zu tun.
Kein Trinken gegen die Uhr
Befürworter des neuen Gesetzes hoffen, dass es zu solchen Prügeleien künftig nur noch selten kommen wird. Niemand sei mehr gezwungen, "gegen die Uhr" zu trinken. Nun könne jeder sein Bier nach Feierabend genießen und müsse es nicht einfach nur schnell in sich hineinschütten.
Weil der Zeitdruck fehle, werde trotz - oder gerade wegen - der längeren Öffnungszeiten vermutlich sogar weniger getrunken. Und weil die Pubs sich künftig selber aussuchen können, wann sie schließen wollen, werden nicht alle betrunkenen Menschen gleichzeitig durch die Straßen torkeln und aufeinander losgehen.
Wird der Alkoholverbrauch steigen oder sinken?
Außerdem werde nur ein sehr kleiner Teil der Bars und Kneipen tatsächlich die ganze Nacht geöffnet bleiben. Die meisten Pubs werden ihre Öffnungszeit vermutlich nur um ein bis zwei Stunden verlängern.
In den Ohren der Kritiker klingen diese Argumente allerdings wenig überzeugend. Schon bald wird man sehen, wer Recht hatte - die Gegner oder die Befürworter des neuen Gesetzes. Man braucht einfach nur abzuwarten, wie die Menschen in Großbritannien mit ihrer neuen Trinkfreiheit umgehen werden.
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