Jedes Jahr am 9. November gibt es in vielen Orten in Deutschland Gedenkfeiern, die an die schlimmen Ereignisse während der Novemberausschreitungen von 1938 erinnern. Bei diesen vom NS-Regime unter Adolf Hitler organisierten und durchgeführten Aktionen gegen jüdische Menschen und Einrichtungen verloren zwischen dem 7. und 13. November 1938 über 400 Menschen gewaltsam ihr Leben, annähernd 30.000 Menschen wurden verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt - darunter auch viele Kinder. Tausende Geschäfte und Wohnungen jüdischer Menschen sowie über 1400 Synagogen, Betstuben und Versammlungsräume wurden zerstört.
Ein Pogrom bezeichnet eine gewaltsame Ausschreitung gegen eine gesellschaftliche Gruppe. Das Wort stammt aus dem Russischen und bedeutet übersetzt so viel wie Vernichtung, Unwetter oder Sturm. Mit dem "Sturm" der Novemberpogrome fegten die Nationalsozialisten auch die letzten Zweifel beiseite, dass sie nicht ernst machen würden. Daher markiert die Reichspogromnacht auch den Beginn der gezielten Verfolgung von Juden, die später in den so genannten Holocaust mündete - mit dem Ziel der vollständigen Vernichtung aller europäischen Juden. Doch wie konnte es soweit kommen?
1933 wurde Adolf Hitler von Reichspräsident Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Dies ermöglichte ihm, von nun an seine menschenverachtenden Weltanschauungen, die er bereits in seinem Buch "Mein Kampf" beschrieben hatte, in die Tat umzusetzen. Hitler teilte Menschen in unterschiedliche "Rassen" ein. So wurde die nordeuropäische Bevölkerung verherrlicht: Blonde Haare und blaue Augen galten als Zeichen guter Herkunft, die Nazis nannten diese Menschen "Arier", denen sie Sauberkeit, Ehrlichkeit und Schönheit zuschrieben. Hitler bezeichnete sie auch als "indo-europäische Herrenrasse", die als die "überlegene Rasse" über allen anderen Völkern stehen würde.
Schrittweise Entrechtung der Juden
Die Nazis behaupteten außerdem, dass "Fremdrassen" wie etwa Juden oder als "Zigeuner" bezeichnete Sinti und Roma "minderwertig" seien und eine Gefahr für die arische Herrenasse seien. Sie behaupteten, dass die Juden eine Weltverschwörung planten und daher eine Bedrohung für die gesamte Menschheit darstellen würden. Der Terror gegen die Juden begann bereits kurz nach Hitlers Machtübernahme: Zunächst wurde am 1. April 1933 zum Boykott - also zur Verweigerung - jüdischer Geschäfte, Warenhäuser, Banken, Ärzte und Rechtsanwälte aufgerufen. Plakate mit Aufschriften wie "Deutsche, kauft nicht bei Juden!" hingen schon bald vor den meisten jüdischen Geschäften, immer wieder wurden deren Schaufensterscheiben eingeworfen und die Mitarbeiter beschimpft und bedroht.
Am 15. September 1935 traten die "Nürnberger Gesetze" in Kraft, die die deutsche Bevölkerung vor den angeblichen Bedrohungen durch die Juden schützen sollten. Zu diesen Gesetzen zählte zum Beispiel das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" oder das "Reichsbürgergesetz". Für die Juden bedeuteten sie einen extremen Einschnitt in ihr Leben, denn sie hatten fortan längst nicht mehr die gleichen Rechte wie andere deutsche Reichsbürger. Eheschließungen zwischen Juden und der übrigen deutschen Bevölkerung wurden verboten und bereits geschlossene Ehen konnten wieder aufgehoben werden. Juden wurden vom kulturellen Leben ausgeschlossen und durften nicht mehr ins Theater oder ins Kino gehen. Sie mussten den Beinamen Sarah oder Israel führen. Anwälte und Ärzte, die Juden waren, durften ihren Beruf nicht mehr ausüben.
Flucht und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung
Viele deutsche Juden flüchteten nun aus Deutschland. Innerhalb von fünf Jahren wanderten etwa 100.000 Juden aus, ungefähr drei Viertel der jüdischen Bevölkerung blieben weiterhin in Deutschland. Die Nationalsozialisten verschärften 1938 ihre so genannte Judenpolitik weiter. Ausländische Juden sollten so schnell wie möglich abgeschoben werden. Mitten in der Nacht, am 27. Oktober 1938, wurden polnische Juden aus ihren Wohnungen gezerrt und zum Bahnhof gebracht. Die Menschen durften weder etwas mitnehmen, noch konnten sie sich dagegen wehren. An den Bahnhöfen angekommen, wurden sie brutal in dunkle Viehwaggons gesperrt und Richtung Polen abtransportiert.
Sie bekamen auf der Fahrt nichts zu essen oder zu trinken. Viele hatten keine Gelegenheit mehr gehabt, sich etwas Warmes anzuziehen. Die Menschen froren, hatten Hunger und große Angst, denn man hatte ihnen nicht einmal gesagt, was mit ihnen geschehen würde. Sie wurden einfach abgeschoben und ihnen blieb nichts, außer dem, was sie am Leib trugen. Nachdem die ersten Waggons noch die Grenze passieren durften, ließ die polnische Regierung die restlichen nicht mehr einfahren. Die Leidtragenden waren die Menschen, die nun bis 1939 unter schlimmen Bedingungen in Flüchtlingslagern an der Grenze zubringen mussten. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verschlimmerte ihre Situation noch weiter - unter ihnen waren die polnischen Juden Sendel und Ryfka Grynszpan, die mit ihren Kindern Berta und Markus von den Nazis abgeschoben wurden. Ihr Sohn Herschel wurde verschont, da er in Paris lebte. Als er am 3. November 1938 von dem Schicksal seiner Familie hörte, war er außer sich vor Wut.
Mord an Botschaftssekretär als Vorwand genutzt
Jedes Jahr am 9. November trafen sich die Mitglieder der NSDAP ("Nationalsozialistische Arbeiterpartei"), um zu feiern, dass Hitler den missglückten Putschversuch von 1923 überlebt hatte. Nach der Feier am 9. November 1938 trafen sich die Führungsriege und Adolf Hitler im Münchner Rathaussaal zu Beratungsgesprächen. Die Nachricht von der Ermordung des deutschen Botschaftssekretärs in Paris, Ernst Eduard vom Rath, durch den 17-jährigen Juden Herschel Grynszpan kam ihnen sehr gelegen, um den Judenhass in der Bevölkerung weiter zu schüren.
Herschel Grynszpan wollte das Leid, das man seiner Familie zugefügt hatte, rächen. Der nationalsozialistische "Propaganda-Minister" Joseph Goebbels nahm den Mord zum Anlass, um eine Hetzrede gegen die Juden zu halten, in der er forderte, dass die Juden für den Mord bestraft werden müssten. Am selben Abend ließen die Führer der Kampforganisation SA ("Sturmabteilung") in ganz Deutschland die Nachricht von der Ermordung des Diplomaten verbreiten und stachelten die deutsche Bevölkerung gezielt gegen die Juden auf. Das NS-Regime wollte es so aussehen lassen, als wäre die deutsche Bevölkerung über den Mord des Diplomaten so wütend geworden, dass sie nun gegen die Juden als "Gefahr für das Deutsche Reich" vorging. Tatsächlich wurden die Terror-Aktionen von den Nationalsozialisten organisiert und tatkräftig unterstützt.
Gewalt und Zerstörung in der "Reichskristallnacht"
In der Nacht vom 9. zum 10. November erreichte der Judenhass in Deutschland ein bis dahin nie erlebtes Ausmaß. In ganz Deutschland gingen die Nationalsozialisten - meistens in "zivil", also ohne ihre Uniform - auf die Straßen. Die wütende Meute zerstörte Gebäude und ging auch auf jüdische Menschen los. Viele Juden wurden verletzt, Hunderte wurden in dieser Nacht getötet. Einige erlitten einen Herzinfarkt vor Schock, andere nahmen sich das Leben, um das Leid und die Scham nicht ertragen zu müssen. Tausende Juden wurden aus ihren Häusern gezerrt und in Konzentrationslager verschleppt, wo sie zu Tode gefoltert wurden oder verhungerten.
Die Terror-Truppen der Nazis zündeten Synagogen (jüdische Gotteshäuser) an, räumten Geschäfte aus, verwüsteten Schulen und schlugen alles kurz und klein. Die Polizei war überall vor Ort, griff aber nicht ein. Und auch die Feuerwehr achtete nur darauf, dass die Brände sich nicht auch auf nicht-jüdische Haushalte ausweiteten. So gut wie keiner half der jüdischen Bevölkerung.
Am nächsten Morgen sah man das volle Ausmaß der Gewalt: Alles lag in Schutt und Asche, überall auf den Straßen lagen Scherben. Oftmals wurde diese Nacht auch als "Reichskristallnacht" bezeichnet - ein verschönerndes Wort, das die Nazis in Bezug auf die vielen Glasscherben schöpften, um den Terror zu verharmlosen.
Der Anfang des Schreckens
Obwohl Goebbels am 10. November verkünden ließ, dass man weitere Unruhen zu unterlassen habe, wüteten die aufgestachelten Menschentruppen bis zum 13. November weiter. Mit der Reichspogromnacht nahm die brutale Judenverfolgung in Deutschland neue Ausmaße an. Zunächst glaubten viele der Juden noch, dass es nicht mehr schlimmer werden könnte. Doch schon sehr bald wurde klar, dass dies erst der Anfang des Schreckens sein sollte.
Die Juden verloren weitere Rechte und immer mehr Verbote kamen hinzu. So durften jüdische Kinder keine deutschen Schulen mehr besuchen. 1939 wurde beschlossen, dass jüdische Bewohner nach 20 Uhr nicht mehr auf den Straßen unterwegs sein durften. Sie durften keine Geschäfte mehr führen oder Gold und Ähnliches an- und verkaufen. Von 1941 an mussten alle Juden einen auffälligen gelben Stern, den so genannten "Davidsstern", und die Aufschrift "Jude" auf ihrer Kleidung tragen, damit sie direkt und überall erkannt werden konnten. Die Nazis führten immer weitere Verbote ein. Juden durften bald keinen Führerschein und keine Bücher mehr besitzen und nicht einmal mehr Haustiere halten.
Diese Gesetze führten dazu, dass die jüdische Bevölkerung immer mehr aus dem alltäglichen Leben ausgeschlossen und regelrecht gebrandmarkt wurde. Sie wurde entrechtet, entwürdigt, diskriminiert und man nahm ihr jede Lebensgrundlage. Bereits 1938 wurde das Leben in Deutschland für Juden unerträglich und immer mehr jüdische Menschen flüchteten ins Ausland. Andere Länder zeigten sich zunächst nicht sonderlich hilfsbereit und die Ausreise wurde für Juden zunehmend schwieriger. Immer mehr jüdische Menschen verschwanden spurlos und wurden in Konzentrationslager verschleppt. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurden Millionen von Juden gefoltert, gequält und ermordet.
Jedes Jahr am 9. November gedenken in ganz Deutschland die Menschen an die Opfer der Reichspogromnacht. Es ist wichtig, dass man auch über 70 Jahre nach den Ereignissen daran erinnert, was damals passiert ist. Denn so etwas soll nie wieder möglich sein und passieren. Daher darf man die schrecklichen Geschehnisse nicht einfach vergessen oder verdrängen.
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