Weltweite Proteste unter dem Motto "Besetzt die Wall Street!"

24.10.2011

Unter dem Motto "Occupy Wall Street!" (aus dem Englischen übersetzt heißt das "Besetzt die Wall Street!") ziehen seit einigen Wochen zahlreiche Menschen in den USA auf die Straßen, um zu protestieren. Mittlerweile demonstrieren auch in Deutschland und auf der ganzen Welt hunderttausende Menschen gegen die Macht der Banken. Wer steckt hinter den Demonstranten der "Occupy-Bewegung" und was fordern sie?

Demonstration der Occupy-Bewegung am 30. September 2011 (Quelle: David Shankbone/ Wikimedia Commons)

Die Bewegung "Occupy Wall Street!" stammt aus den USA. Dort fand am 17. September erstmals eine große Protestaktion unter dem Slogan "Besetzt die Wall Street" statt. Tausende Menschen fanden sich an diesem Tag im New Yorker Zuccotti-Park zusammen, um gegen die "Gier und die Macht der Superreichen" zu protestieren. Viele der Demonstranten hielten Schilder hoch auf denen "Occupy Wall Street" stand. Wieso wollen sie aber die Wall Street besetzen und nicht den amerikanischen Kongress - das Parlament der USA, in dem die Politiker sitzen?

Die Wall Street ist das Finanzzentrum der US-Wirtschaft mit vielen Banken und dem Sitz der US-Börse. Nach Ansicht der Demonstranten werden wichtige politische Entscheidungen hier und nicht im Parlament getroffen. Tatsächlich stammt von hier das meiste Geld, das die beiden Parteien in den USA - die "Demokratische Partei" und die "Republikanische Partei" - für ihre Wahlkämpfe als Spenden einsammeln. Dementsprechend groß ist auch der Einfluss, den die Finanzindustrie und die Vertreter der "Wall Street" auf die Politik im Land haben. Die Demonstranten fordern mit ihren Protesten, dass auch die "einfachen" US-Amerikaner an die Schalthebel der Macht kommen sollen, und die sehen sie vor allem an der Wall Street.

Ein weiteres Motto der Demonstranten lautet "We are the 99 percent", was auf Deutsch "Wir sind die 99 Prozent" heißt. Damit wollen die Demonstranten zum Ausdruck bringen, dass sie 99 Prozent der US-Bevölkerung und damit nahezu die Gesamtheit der Bürger vertreten. Und zwar die 99 Prozent, die bisher viel zu wenig von der Politik der US-Regierungen der vergangenen Jahre hatten. Denn viele Bürger in den USA haben zu spüren bekommen, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise besonders die weniger vermögenden und armen Leute trifft. Dagegen werden die wenigen reichen Leute seit Jahren immer wohlhabender, auch in Zeiten der Krise. Mittlerweile sind sogar große Teile der so genannten Mittelschicht - das sind die Bürger, denen es recht gut geht, obwohl sie nicht als reich bezeichnet werden können - von der Gefahr bedroht zu verarmen.

Seit Jahren wächst die Ungleichheit

Protest im September 2011. Auf dem Schild der Demonstrantin steht ein Zitat von Goethe: "Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein." (Quelle: David Shankbone/ Wikimedia Commons)

Dass das alles keine unhaltbaren Behauptungen der Demonstranten sind, belegen auch wissenschaftliche Untersuchungen. Schon seit den 1970er Jahren verdienen die Reichen in den USA immer mehr und die armen Leute immer weniger. Von 1970 bis heute haben sich die Gehälter von Top-Managern mehr als vervierfacht. Der Durchschnittslohn der meisten Leute (90 Prozent) stieg dagegen nur um etwa ein Viertel - und das, obwohl auch das Geld, das man zum Leben braucht, deutlich gestiegen ist. Die Unterschiede zwischen den Armen und Reichen wurden so von Jahr zu Jahr immer größer.

Hinzu kommt, dass viele US-Bürger sich Sachen über Kredite kaufen - also mit von Banken geliehenem Geld. Das heißt, obwohl sie gar nicht so viel in der Tasche haben, kaufen sie sich die alle möglichen Dinge, die sie haben wollen. Die meisten Autos, Haushaltsgeräte oder Häuser werden so verkauft. Den Preis kann man dann in Raten, also kleineren Geldbeträgen, über einen gewissen Zeitraum abbezahlen - hinzu kommen Zinsen, an denen die Banken wiederum verdienen. Solange man einen Job hat, funktioniert das System. Durch die Krise wurden aber viele Menschen arbeitslos und konnten plötzlich ihre Raten nicht mehr abbezahlen. Viele flogen sogar aus ihrem Haus, weil sie das Geld für den Kredit nicht mehr aufbringen konnten.

Politik unterstützt die Reichen

Die Wall Street ist das Finanzzentrum der US-Wirtschaft mit vielen Banken und dem Sitz der US-Börse. Nach Ansicht der Demonstranten werden wichtige politische Entscheidungen hier und nicht im Parlament getroffen. (Quelle: Claus-P. Schulz/ pixelio.de)

Im Jahr 2007 verdienten die Reichsten der reichen US-Bürger, die gerade mal ein Prozent der Bevölkerung ausmachen, fast ein Viertel des Volkseinkommens. Jeder vierte Dollar ging somit an die wenigen Superreichen. 30 Jahre zuvor waren es 8,9 Prozent und damit deutlich weniger. Verursacht wurde diese Entwicklung von der Politik der US-Regierungen. Sie argumentierten damit, dass es auch dem Rest des Landes zugutekäme, wenn es den Reichen gutgehe, denn nur sie könnten Arbeitsplätze schaffen. Aber auch viele Unternehmen wurden immer reicher, weil sie mehr Arbeiter entließen.

Allein die reiche Oberschicht, die etwa 90 Prozent allen Vermögens im Land kontrolliert, sei wichtig, meinten Wirtschaftsfachleute von der Wall Street. In diesen Jahren wurde an der Börse und in den Banken viel Geld verdient. Gleichzeitig bekamen viele Betriebe in den USA Probleme. Denn der US-Markt wurde mit billigeren Waren aus Ländern wie China oder Südkorea überschwemmt, die sich besser verkauften. Die Folge war, dass große Bereiche der US-Wirtschaft - wie die Automobil-Industrie - immer mehr Menschen entlassen mussten. Diese Leute bekamen entweder gar keinen Job mehr oder nur noch Hilfsjobs für sehr wenig Geld. Viele mussten sich mit mehreren dieser so genannten "McJobs" (das sind schlechtbezahlte Jobs, benannt nach der Fast-Food-Kette Mc Donalds) über Wasser halten. Experten rechnen damit, dass die Hälfte aller neuen Arbeitsplätze bis zum Jahr 2018 solche Billigjobs sein werden. Nur in jedem drittem Job sollen gute Löhne bezahlt werden.

Unterschiedliche Leute - unterschiedliche Forderungen

Die Bewegung hat eine eigene Zeitung, das "Occupied Wall Street Journal". Bild: Herausgeber Arun Gupta mit der 1. Ausgabe (Quelle: Jorge Pupo/ Wikimedia Commons)

Wer sind nun diese Demonstranten? Wie schon ihr Slogan verrät - "We are the 99 percent" -, kommen sie aus den verschiedensten Teilen der US-Gesellschaft. Studenten und arbeitslose Jugendliche stehen neben Rentnern, Schwarze neben Weißen und Latinos. Viele haben sich fantasievolle Kostüme oder Plakate ausgedacht. Jeder von ihnen protestiert gegen eine bestimmte von ihm als ungerecht empfundene Situation. Allen gemeinsam ist aber, dass sie die Ursache darin sehen, dass nicht mehr die Politik selbst bestimmt, was gemacht wird, sondern die Banken und Börsen die Politik beherrschen.

Die Leute sitzen zusammen, diskutieren oder organisieren Aktionen wie die Besetzung von Straßen und öffentlichen Plätzen. Einige Demonstranten haben Parks oder Plätze besetzt und dort Zelte aufgebaut. Viele US-Bürger verbünden sich mit den Demonstranten und versorgen sie mit Essen und Trinken. In New York verteilte sogar ein Pizzaservice kostenlos Essen. Außerdem spenden viele Unterstützer Geld für die Protestaktionen.

Kamen zu Beginn der Proteste nur einige hundert Demonstranten zusammen, so sind es jetzt schon einige Tausend. Und die Demonstrationen weiten sich aus. Nicht nur in New York, auch in anderen amerikanischen Großstädten wie Boston, San Francisco oder Seattle finden sich Leute zusammen und gehen auf die Straße. Dass sich die Bewegung so schnell ausbreitete, ist nicht zuletzt dem Internet zu verdanken. Im Netz wird auf der Webseite der Aktivisten zu neuen Aktionen aufgerufen oder es werden die letzten Neuigkeiten mitgeteilt. Viele Demonstranten oder auch nur Beobachter beteiligen sich in Blogs oder über die sozialen Netzwerke Twitter und Facebook an der Bewegung.

Verständnis und Beschimpfungen für Demonstranten

US-Präsident Barack Obama zeigte öffentlich Verständnis für die Vorwürfe der Demonstranten. (Quelle: Pete Souza/ The Obama-Biden Transition Project)

Kritiker bemängeln an den Protesten, dass die Demonstranten keine konkreten Forderungen hätten und dass es keine Führer der Bewegung gebe. Tatsächlich sind die bisherigen Forderungen bei den Demos uneinheitlich. So wollen einige die Banken an der Bewältigung der Krise beteiligen, andere Demonstranten fordern dagegen, dass der Kapitalismus ganz abgeschafft wird.

Manche Leute wollen ein Ende der weltweiten Militäraktionen der USA, anderen ist vor allem der Ausbau des sozialen Systems für Rentner, Arme und Kranke wichtig. Auch der bessere Schutz der Umwelt, die Abschaffung der Todesstrafe und mehr Rechte für Tiere sind Themen der Proteste. Dass die Forderungen so vielfältig sind, sehen die meisten Demonstranten hingegen sogar als Vorteil. Denn so komme jeder Punkt der gegenwärtigen Krise zur Sprache - die Ziele würden nicht von einer großen Organisation vorgegeben werden, sondern jeder Einzelne hätte eine Stimme.

Die Reaktionen auf die Proteste sind unterschiedlich. Prominente Schauspieler wie Jane Fonda, Alec Baldwin und Susan Sarandon, Filmemacher Michael Moore oder Musiker wie Rapper Kanye West und Moby unterstützen die Protestbewegung, obwohl sie selbst zu den sehr reichen Menschen gehören. Aber auch die US-Politik kommt an den Protesten nicht mehr vorbei. Während sich die Demokraten noch nicht so richtig einig sind, wie sie die Bewegung beurteilen sollen, werden die Demonstranten von Anhängern der Republikaner beschimpft.

Der demokratische US-Präsident Obama äußerte Verständnis für die Bewegung und sagte: "Sie drückt aus, was viele Menschen über unser Finanzsystem denken." Die Menschen verstünden, dass nicht jeder in den USA die Regeln befolge, und sähen in der Wall Street ein Beispiel dafür. Der demokratische Abgeordnete und Bürgerrechtler Jesse Jackson besuchte die Demonstrationen. Ganz anders dagegen der republikanische Präsidentschaftskandidat Herman Cain, der den Demonstranten "unamerikanisches Verhalten" vorwirft. Diese Leute seien "neidisch", sie stellten sich als "Opfer" dar und wollten anderen "ihren Cadillac wegnehmen" (das ist eine US-Automarke). Der den Republikanern nahestehende Radiomoderator Glenn Beck bezeichnete die Demonstranten sogar als "Kriminelle" und "Drogensüchtige".

Weltweite Proteste

Protestler, die auf dem Platz vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main ihre Zelte aufgeschlagen haben (Quelle: Blogotron/ Wikimedia Commons)

Proteste wie in New York gibt es inzwischen in vielen Ländern und auf allen Kontinenten. Mitte Oktober demonstrierten rund um den Globus hunderttausende Menschen gegen die Macht der Banken und versammelten sich weltweit auf Plätzen und Straßen. Auch in Deutschland protestierten Zehntausende in Berlin, Frankfurt am Main, Köln, Düsseldorf und anderen Städten. Die Wut einiger Demonstranten ist so groß, dass sie Bankgebäude beschädigen, Autos anzünden oder Polizisten mit Steinen bewerfen. Auch die Polizei griff teilweise hart ein und die Demonstrationen arteten in Gewalt aus. So wurden aus den Protesten in Rom und London Krawalle mit Verletzten.

Der Präsident der Europäischen Union zeigte bis zu einem gewissen Grad Verständnis für die Vorwürfe der Demonstranten. José Manuel Barroso sagte: "Wir haben verstanden." Er könne die Verärgerung der Bevölkerung nachvollziehen. Die schwere Krise sei das Ergebnis der Fehlentwicklungen in den Finanzsystemen. Die Banken hätten vielfach komplett unverantwortlich und mitunter sogar "kriminell" gehandelt. Kritische Stimmen deuten die Zugeständnisse der Politiker bisher allerdings vor allem als Taktik, um die Massen zu "besänftigen". Denn vor allem müssten Konsequenzen gezogen werden und Taten folgen, so die Kritiker, um den gesellschaftlichen Missständen entgegen zu wirken und für deutlich mehr Kontrolle auf den Finanzmärkten zu sorgen.

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letzte Aktualisierung: 25.10.2011

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