04.12.2009
Die Bürger in der Schweiz haben darüber abgestimmt, ob in ihrem Land künftig so genannte Minarette gebaut werden dürfen. Diese Bauwerke sind zu Moscheen zugehörige Türme, von denen die Muslime zum gemeinsamen Gebet gerufen werden. Mehr als die Hälfte der Wähler, die an der Volksabstimmung teilnahmen, haben sich für ein Bauverbot ausgesprochen. Das Ergebnis hat in der ganzen Welt für heftige Diskussionen gesorgt. Nicht nur für Muslime ist das Minarett-Verbot ein Angriff auf die Religionsfreiheit. Kritiker sehen in der Entscheidung Vorurteile vieler Schweizer gegenüber dem Islam oder sogar rassistische Tendenzen.
"Der Bau von Minaretten ist verboten." Um diesen Satz in Artikel 72 Absatz 3 soll die Schweizer Bundesverfassung verändert werden. Dafür hat sich am 29. November die Mehrheit der Schweizer Bürger ausgesprochen. Sie wollen also, dass in ihrem Land künftig keine Minarette mehr gebaut werden dürfen. Bei diesen Gebäuden handelt es sich um Türme, die zu einer Moschee gehören. Moscheen sind für die Muslime (auch "Moslems"), die Glaubensanhänger des Islams, ein zentraler und wichtiger Ort, an dem sie ihre Religion ausüben können, indem sie beispielsweise gemeinsam beten.
Der Begriff Moschee leitet sich von der arabischen Bezeichnung "masjid" ab, was "Ort, an dem man zum Gebet niederfällt" bedeutet. Zu den täglichen fünf Gebeten, die jeweils zu bestimmten Uhrzeiten abgehaltenen werden, wird traditionell vom Ausrufer, dem Muezzin, gerufen. Im christlichen Glauben ist es das Geläut des Glockenturms einer Kirche, mit dem zum Gottesdienst aufgerufen wird - und im Islam ist es der Muezzin, der vom Minarett aus ruft. Der Begriff Minarett stammt von der arabischen Bezeichnung "manâr" oder "minâra", was "Leuchtturm" bedeutet, sowie von dem Begriff "ma'dhana", was soviel heißt wie "Ort, von dem man den Gebetsruf erschallen lässt".
Der Stein des Anstoßes
In den letzten Jahrzehnten ist der Islam zur stärksten nicht-christlichen Religionsgemeinschaft in der Schweiz angewachsen. Heutzutage gibt es dort bereits rund 400.000 Islam-Gläubige - das sind etwa fünf Prozent der schweizerischen Bevölkerung. Schon in den sechziger und siebziger Jahren wurden mehrere Moscheen in der Schweiz gebaut. Bisher gibt es in dort vier Minarette, und für zwei weitere liegen Bauanträge vor.
Doch warum wollen viele Schweizer keine weiteren Minarette? Neben der Funktion als Wahrzeichen einer Moschee verwendete man das Minarett früher auch als Wachturm, und Einige sehen darin ein Symbol von Macht. Mit seinem pfeilförmigen Turm und seiner Höhe sticht das Minarett aus dem Stadtbild heraus und kann schon von Weitem - wie ein Kirchturm - gesehen werden. Das höchste Minarett der Welt befindet sich in Casablanca. Es ist 210 Meter hoch und gehört zur Moschee König Hassan II. Darüber hinaus befinden sich in der iranischen Hauptstadt Teheran derzeit zwei weitere hohe Minarette in Bau. Nach Fertigstellung sollen sie 230 Meter hoch sein.
Zwar sollen die Minarette in der Schweiz so hoch nicht werden, aber selbst viel kleinere werden von der Mehrheit der Schweizer abgelehnt. Nach ihrer Aussage richtet sich ihre Kritik nicht direkt gegen die Muslime und die Religion an sich. Allerdings sehen die Gegner des Minarett-Verbots in der Entscheidung nicht nur Vorurteile vieler Schweizer gegenüber dem Islam, sondern sogar rassistische Tendenzen.
Pro und Contra: Das sagen die Befürworter und Gegner
Wie in vielen anderen Ländern auch, haben die Muslime zunächst in "Hinterhof-Moscheen" versteckt ihren Glauben praktiziert. Die zweite und dritte Generation der Einwanderer (aus der Türkei, Bosnien oder Albanien) will sich nicht mehr verstecken und benötigt aufgrund der steigenden Anzahl an Gläubigen auch größere und der Religion angemessen gestaltete Moscheen.
Das irritiert größere Teile der Schweizer Gesellschaft. Mit dem Verbot solle nicht die Ausübung des Islam, sondern die Errichtung eines öffentlichen Wahrzeichens des Islams, das Minarett, verboten werden, argumentiert beispielsweise die Partei Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU). Ihrer Meinung nach seien Minarette nicht wertneutral, sondern "symbolisieren den absoluten Machtanspruch Allahs und der Muslime".
Diese Interpretation wird längst nicht von allen Menschen geteilt. Die Gegner der Volksinitiative, unter ihnen der Rat des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK), argumentieren, dass das Verbot einem vernünftigen Dialog zwischen den Religionen im Weg stehe. Das (Bau-)Verbot sei nicht geeignet zur Lösung religionspolitischer Konflikte. Auch die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) spricht sich gegen das Verbot von Minaretten aus. Sie ist der Ansicht, dass ein generelles Minarett-Verbot dem "Dialog und gegenseitigen Respekt" der Religionen entgegenstehe und somit die Eingliederung der muslimischen Gläubigen erschweren würde.
Was ist eine Volksabstimmung?
Zu diesem Streitpunkt haben die Schweizer nun eine Volksabstimmung abgehalten. Dabei handelt es sich um eine Form der direkten Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungen. Man spricht deshalb auch von "direkter Demokratie". Zu ihren Formen zählt das Volksbegehren (in der Schweiz "Volksinitiative" genannt). Hier zwingt eine gesetzlich festgelegte Mindestanzahl von Stimmberechtigten das Parlament oder die Regierung dazu, sich mit einem bestimmten Thema zu beschäftigen.
Eine weitere Form der Volksabstimmung ist die Volksbefragung, mithilfe derer die stimmberechtigte Bevölkerung zu einem bestimmten wichtigen Thema um Meinungsäußerung gebeten wird. Das Ergebnis dieser Befragung ist für den Gesetzgeber, also das Parlament, nicht bindend. Eine verbindliche Entscheidung wird durch den Volksentscheid (Schweiz: Volksabstimmung) getroffen, bei dem den Stimmberechtigten zwei oder mehrere (Gesetzes-)Alternativen zur Abstimmung vorgelegt werden. In dem Fall machen also die Bürger - und nicht die Politiker im Parlament - die Gesetze. In einigen Ländern haben die Bürger die Möglichkeit, in solch einer direkten Abstimmung mitzuentscheiden. In Deutschland dagegen können die Bürger auf nationaler Ebene lediglich die Volksvertreter wählen und haben keinen direkten Einfluss auf die politischen Entscheidungen.
Wie kam es zum Minarett-Bauverbot?
Bei dem Volksentscheid in der Schweiz ging es um einen Antrag der Initiative "Gegen den Bau von Minaretten", die von der rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU) gegründet wurde, um den Bau von Minaretten zu verbieten und dieses Verbot in der Schweizer Verfassung festzuschreiben. Als Verfassung bezeichnet man die obersten Gesetze, nach denen ein Staat funktionieren und arbeiten soll. In Deutschland heißt die Verfassung Grundgesetz.
Das Verfahren begann am 10. April 2007, als der Antrag für eine Volksinitiative eingereicht wurde. Nachdem dies genehmigt wurde, sammelte die Initiative bis zum 8. Juli 2008 113.540 gültige Unterschriften von Bürgern, die für ein Verbot von Minaretten waren. 100.000 Unterschriften waren nötig, damit die Volksabstimmung genehmigt werden würde. Diese Anzahl wurde erreicht - und am 29. November 2009 wurde die Volksabstimmung durchgeführt.
Bis dahin hatten die stimmberechtigten Bürger die Möglichkeit, sich über die Argumente für und gegen den Bau von Minaretten zu informieren. Informationen gab es zum Beispiel von der Initiative selbst, von den Schweizer Parteien oder Kirchen. Eine Sammlung von Pro- und Contra-Argumenten konnte auch direkt auf der Internetseite des Schweizer Parlaments gefunden werden. Vor der Abstimmung zum Minarett-Bauverbot hatte die Schweizerische Regierung den Stimmberechtigten empfohlen, mit "Nein" zu stimmen - nicht zuletzt deshalb, weil sie Schaden am internationalen Ruf des Landes befürchtete. Unerwartet viele Schweizer Bürger sind zur Abstimmung gegangen. Die Wahlbeteiligung lag bei etwa 54 Prozent. Die Mehrheit der Wähler, etwa 1,5 Millionen Bürger (das entspricht 57,5 Prozent), sprach sich für ein Verbot aus. Im Gegensatz dazu stimmten etwa 1,1 Millionen Schweizer gegen das Verbot.
Weltweite Reaktionen: Besorgnis und Empörung
Dieses Ergebnis sorgte international zumeist für Kritik und Empörung, erntete jedoch teilweise auch Zustimmung. So gibt es zum Beispiel in Dänemark, Österreich, Italien und in den Niederlanden einige Befürworter einer solchen Abstimmung. In vielen Ländern reagierten die Menschen allerdings größtenteils entsetzt. Die französische Regierung betonte, dass sie "geschockt" sei und hoffe, dass "die Schweizer dies möglichst schnell rückgängig" machen. Der schwedische Außenminister Carl Bildt bezeichnete das Ergebnis als ein "negatives Signal" und sagte, es sei "ein Ausdruck von ziemlich vielen Vorurteilen und vielleicht sogar Angst".
Sehr erbost über die Entscheidung zeigte sich der türkische Ministerpräsident Erdogan. Er sagte, dass Religions- und Meinungsfreiheit Grundrechte der Menschheit seien, "die nicht zur Abstimmung gestellt werden dürften". Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül bezeichnete die Entscheidung gar als eine "Schande für die Schweizer". Auch im Vorfeld der Volksabstimmung gab es Kritik gegen die Anti-Minarett-Initiative. Denn die SVP hatte mit einem provozierenden und radikalen Plakat auf die Abstimmung aufmerksam gemacht. Es zeigt eine verschleierte Frau vor der Schweizer Nationalflagge, umgeben von schwarzen Minaretten, die wie Raketen aus der Fahne zu schießen scheinen.
Darauf wurde mit viel Empörung reagiert, das Aufhängen der Plakate wurde schließlich in den meisten Städten verboten. Es hieß, dass auf diese Weise Hass und Vorurteile geschürt werden. Die Vereinten Nationen ("UN" oder "UNO") haben angekündigt, die Vereinbarkeit des Minarett-Verbots mit internationalem Recht zu untersuchen. Ob dieses Gesetz tatsächlich in Kraft treten wird, ist also noch nicht abschließend geklärt.
In Deutschland ist das Minarett-Verbot auf ein geteiltes Echo gestoßen. Eine Mehrheit äußert zwar ihre Bedenken zum Bauverbot von Minaretten und Moscheen oder zeigt sich sogar empört. Allerdings gab es wegen der geplanten neuen Moschee in Köln erst vor kurzem heftige Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern. Die von rechten Gruppen gegründete Initiative "Pro-Köln" scheiterte jedoch mit ihrem Versuch, die geplante Moschee zu verhindern - der Kölner Stadtrat stimmte schließlich mit großer Mehrheit für den Bau. Undenkbar ist es allerdings nicht, dass auch die Deutschen gegen den Bau von Minaretten stimmen würden, wenn sie die Möglichkeit zur Wahl hätten - dies geht zumindest aus Umfragen hervor. Die Innenminister der Länder empfehlen den muslimischen Gemeinden sogar "Zurückhaltung" beim Bau neuer Moscheen, um die deutsche Bevölkerung damit nicht zu "überfordern".
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