Kinder an die Wahlurnen - Sollten Kinder wählen dürfen?

Die Diskussion über ein Wahlrecht für Kinder und Jugendliche

von Sebastian Zender

In wenigen Wochen findet wieder einmal die Wahl zum Deutschen Bundestag statt. Wählen darf aber nur, wer zum Zeitpunkt der Wahl schon mindestens 18 Jahre alt ist. Durch diese Regelung sind ungefähr 14 Millionen deutsche Staatsbürger von der Entscheidung über die politische Zukunft des Landes ausgeschlossen. Sollten nicht auch Kinder und Jugendliche das Recht haben zu wählen? Schon seit langem wird über diese Frage diskutiert. Wie sehen die Forderungen nach einer Absenkung des Wahlalters oder einem Wahlrecht für Kinder im Einzelnen aus? Welche Argumente sprechen für oder gegen ihre Umsetzung?

Sollte es ein Wahlrecht für Kinder geben? Bild: Stimmzettel für die Bundestagswahl 2009
Helles Köpfchen

In Deutschland liegt das "Mindestwahlalter" derzeit bei 18 Jahren. Das war nicht immer so: Bis die Abgeordneten des Deutschen Bundestags am 31. Juli 1970 diese Regelung beschlossen, musste man 21 Jahre alt sein, um wählen zu dürfen. Österreich ging als erstes europäisches Land noch einen Schritt weiter. Seit 2007 darf man sich dort schon ab 16 Jahren an der Wahl beteiligen. Das Wahlrecht ab 16 gibt es inzwischen auch bei "Kommunalwahlen" (Wahlen auf der Ebene von Kreisen und Gemeinden) in einigen deutschen Bundesländern: Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.

Darüber, ob man nicht auch bei den Landtagswahlen und der Wahl zum Deutschen Bundestag das Wahlalter auf 16 absenken sollte, ist schon des Öfteren nachgedacht worden. Einigen Politikern, Experten und Kinderrechtsinitiativen gehen diese Überlegungen jedoch nicht weit genug. Ihnen schwebt stattdessen eine vollständige Abschaffung des Mindestwahlalters vor. Es gibt dabei allerdings sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie ein so genanntes "Kinderwahlrecht" genau aussehen soll.

Drei Spielarten des Kinderwahlrechts

Schlummert in diesem Kinderwagen ein Wähler? Bild: Wahllokal in einer Schule in München.
www.bayernnachrichten.de | Fotograf: Alexander Hauk

Erstens: Kinderwahlrecht in Reinform. Alle Bürgerinnen und Bürger erhalten von Geburt an das Wahlrecht und können davon Gebrauch machen, sobald sie dazu in der Lage sind. Bevor sie sich an einer Wahl beteiligen, müssten Kinder aber aus eigenem Antrieb die Aufnahme ins Wählerverzeichnis beantragen. Wähler, die in Windeln zur Wahlurne krabbeln, muss also niemand befürchten. Für diese Form des Kinderwahlrechts macht sich beispielsweise die 2002 ins Leben gerufenen Kampagne "Ich will wählen" stark, die unter anderem von der Jugendorganisation der Partei Bündnis 90/Die Grünen und der Kinderrechtsinitiative "K.R.Ä.T.Z.Ä" unterstützt wird.

Zweitens: Familienwahlrecht. Auch hier wird das Wahlrecht bereits bei der Geburt wirksam. Allerdings werden die Stimmen der Kinder bis zu einem bestimmten Alter - im Zweifel bis zur Volljährigkeit mit 18 Jahren - den Eltern übertragen. Die dahinter stehende Idee: Eltern wissen, was für ihre Kinder gut ist. Sie können die Interessen der Kinder am besten vertreten. Von einer stärkeren politischen Gewichtung von Familien erhoffen sich viele Befürworter des Familienwahlrechts auch, dass sich durch diesen zusätzlichen Anreiz wieder mehr Menschen dazu entschließen, Kinder zu bekommen. Vorhersagen zufolge wird die deutsche Bevölkerung nämlich zunehmend älter, weil immer mehr Menschen kinderlos bleiben. Auch dieser Entwicklung, die zu einem ernsthaften Problem für die Gesellschaft werden könnte, soll durch das Familienwahlrecht entgegengewirkt werden.

Drittens: Stellvertreterwahlrecht. Hierbei handelt es sich um eine Art Mischform der ersten beiden Varianten. Anders als beim Familienwahlrecht fallen die Stimmen der Kinder nicht einfach den Eltern zu. Stattdessen füllen diese den Stimmzettel nur stellvertretend für ihre Kinder aus. Das bedeutet, dass die Eltern nach Möglichkeit mit ihren Kindern besprechen sollen, für wen sie deren Stimmen abgeben. Am Küchentisch wird also diskutiert, an der Wahlurne müssen die Kinder ihren Eltern vertrauen.

Über Kinderwahlrecht wird sogar im Bundestag diskutiert

Die ehemalige Familienministerin Renate Schmidt (SPD) fordert ein Wahlrecht von Geburt an.
www.renateschmidt.de

Obwohl alle drei Ansätze ein Wahlrecht von Geburt an fordern und unter dem Titel "Kinderwahlrecht" häufig in einen Topf geworfen werden, unterscheiden sich vor allem die ersten beiden Varianten stark in ihren Beweggründen. Die Vertreter der ersten Form des Kinderwahlrechts lehnen das Familienwahlrecht strikt ab. Ihnen geht es schließlich darum, dass Kinder selbst mitbestimmen können. Außerdem könnten die Interessen der Eltern stark von denen der Kinder abweichen. Wenn die Stimmen der Kinder einfach den Eltern übertragen würden, hätte letztlich die Meinung der Eltern und nicht die der Kinder einen stärkeren Einfluss auf die Politik.

Von den drei Vorschlägen hat es die Kompromisslösung, die Idee eines Stellvertreterwahlrechts, in Deutschland bisher am weitesten gebracht: Am 11. September 2003 reichten Abgeordnete unterschiedlicher Parteien den Antrag "Mehr Demokratie wagen durch ein Wahlrecht von Geburt an" im Bundestag ein. Zu den Unterzeichnern zählten unter anderem der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sowie seine beiden Stellvertreter Hermann Otto Solms (FDP) und Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen). Der Antrag, in dem vorgesehen war, dass die Eltern die Stellvertreterfunktion bis zur Volljährigkeit des Kindes ausüben, wurde 2005 schließlich abgelehnt.

Auf Betreiben der ehemaligen Familienministerin Renate Schmidt (SPD) forderten am 26. Juni 2008 46 Abgeordnete aller Fraktionen des Bundestages die Bundesregierung erneut dazu auf, einen Gesetzesentwurf zur Einführung des Wahlrechts von Geburt an vorzulegen. Der neue Antrag mit dem Titel "Der Zukunft eine Stimme geben - Für ein Wahlrecht von Geburt an" geht noch einen Schritt weiter als der alte: In ihm wird vorgeschlagen, "dass junge Menschen, sobald sie selbst sich für beurteilungsfähig halten, das Recht erhalten, sich in eine Wahlliste eintragen zu lassen". Die Eltern würden dann also nur solange stellvertretend für ein Kind wählen, bis es selbst wählen kann und will.

Die rechtliche Lage: Artikel 20 und 38 des Grundgesetzes

Artikel 20 und Artikel 38 des Grundgesetzes spielen in der Diskussion über ein Kinderwahlrecht eine wichtige Rolle.
Wikipedia

Die Befürworter einer Abschaffung des Mindestwahlalters berufen sich auf den Artikel 20 des Grundgesetzes: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", heißt es dort. Kinder und Jugendliche vom demokratischen Entscheidungsprozess auszuschließen, halten viele daher nicht nur für ungerecht, sondern sogar für verfassungswidrig. Dadurch werde ausgerechnet denen, die die längste Zeit ihres Lebens in Deutschland noch vor sich haben, die Möglichkeit zur Mitbestimmung über die Zukunft entzogen. Der Artikel 20 ist einer der wichtigsten Artikel des Grundgesetzes und unterliegt der so genannten "Ewigkeitsklausel". Das bedeutet, dass sein Inhalt nicht geändert werden darf. Im Gegensatz dazu könnte der Artikel 38, in dem festgeschrieben ist, dass man erst ab 18 wählen darf, mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und der Zustimmung des Bundesrates geändert werden.

Neben der Bindung des Wahlrechts an die Volljährigkeit spielen auch noch zwei weitere Vorschriften aus Artikel 38 eine wichtige Rolle in der Diskussion: Die Wahlen sind danach gleich und geheim. Gleich sind sie dadurch, dass jede Stimme gleich viel zählt. Gegner des Familienwahlrechts argumentieren, dass durch eine solche Regelung der Gleichheitsgrundsatz der Wahl verletzt würde - warum sollten die Stimmen von Eltern mehr zählen, als die Stimmen von Bürgern ohne Kinder? Außerdem sei unklar, was passiert, wenn sich die Eltern nicht einigen können, welcher Partei sie die Stimme des Kindes geben. Geheim ist die Wahl, weil jeder Wähler seine Wahlentscheidung für sich behalten darf und sich vor niemanden dafür rechtfertigen muss. Durch das Stellvertreterwahlrecht, so seine Kritiker, würde dieses "Wahlgeheimnis" gebrochen, denn die Kinder müssten ihren Eltern schließlich mitteilen, was diese für sie wählen sollen. Das Wahlrecht sei außerdem ein persönliches Recht und können an niemanden übertragen werden, auch nicht an die eigenen Eltern.

Was spricht für, was gegen ein Kinderwahlrecht?

Was wäre, wenn Kinder wählen dürften und so über die Zukunft mitbestimmen könnten?
Dieter Schütz | Pixelio.de

Was wäre, wenn Kinder wirklich wählen könnten? Vom Wahlrecht ohne Altersgrenze versprechen sich die Befürworter sehr positive Auswirkungen. Zurzeit werden die Interessen von Kindern und Jugendlichen in der Politik nicht ausreichend berücksichtigt. Weil sie ohnehin nicht mitwählen dürfen, müssen sich die Politiker auch keine großen Gedanken darüber machen, was Kinder und Jugendliche wollen.

Oft wird behauptet, junge Menschen würden sich sowieso noch nicht für Politik interessieren. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass sie keine Möglichkeit zur Einflussnahme haben und sich deshalb denken: "Ich kann ja doch nichts ändern". Die Verfechter des Kinderwahlrechts glauben, dass Kinder und Jugendliche selbstbewusster wären, wenn sie eine Stimme hätten. Erwachsene, insbesondere Politiker, müssten sie dann ernster nehmen und mit anderen Augen sehen - nicht als unmündige Kinder, sondern als Wähler, die mitbestimmen.

Gegner des Kinderwahlrechts argumentieren häufig, Kinder seien noch nicht reif genug und würden sich nicht auskennen. Tatsächlich gibt es aber in jeder Altersgruppe neben gut informierten auch weniger gut informierte Menschen. Erwachsene Wähler werden schließlich auch nicht auf ihre Reife hin überprüft, obwohl viele von ihnen sicherlich nicht einmal das Wahlsystem verstehen. Außerdem werden sich in unserer Demokratie ja nicht einmal die Politiker darüber einig, was "richtig" ist. Deshalb werden strittige Fragen eben durch Abstimmung entschieden. Dabei zählen dann letztlich nur die meisten Stimmen. Auch das Argument, Kinder seien zu leicht zu beeinflussen, zieht nicht unbedingt. Genauso wie Erwachsene würden Kinder wahrscheinlich die Politiker und Parteien wählen, von denen sie annehmen, dass sie ihre Interessen und Wünsche am besten vertreten. Und genauso wie Erwachsene würden sie ihre Stimme kaum noch mal einer Partei geben, die vor der Wahl das Blaue vom Himmel versprochen und sich später nicht daran gehalten hat.

Ein weiteres typisches Argument gegen das Kinderwahlrecht ist, dass man Kinder doch Kinder sein lassen und sie nicht mit Politik belasten sollte. Befürworter erwidern darauf, dass es ihnen ja nur um das Recht geht zu wählen. Da es sich um ein Recht und nicht um eine Pflicht handelt, kann ohnehin niemand dazu gezwungen werden zu wählen. Hier knüpfen die Gegner gleich wieder an. Da Kinder ihrer Ansicht nach weniger Pflichten als Erwachsene haben, sollen sie auch noch nicht dieselben Rechte wie Erwachsene erhalten, insbesondere noch kein Wahlrecht. Kinder haben ihrer Ansicht nach weniger Pflichten als Erwachsene und sollen deshalb auch nicht wählen dürfen. Aber wie steht es dann zum Beispiel mit der Schulpflicht oder der Pflicht, sich nach Gesetzen zu richten, über die man nicht mitbestimmen darf?

Vielleicht könnte man bei der Frage nach einer Abschaffung oder Absenkung des Wahlalters den Paragrafen 19 des Strafgesetzbuches zur Orientierung heranziehen. Er erklärt die "Schuldunfähigkeit" eines Kindes mit 14 Jahren für beendet. Von da an kann man für seine Taten vor Gericht belangt werden, auch wenn dabei bis zur Volljährigkeit das Jugendstrafrecht angewendet wird, das im Vergleich zum normalen Strafrecht mildere Strafen vorsieht. Die "Strafmündigkeit", die mit 14 Jahren eintritt, lässt sich in wenigen Worten so erklären: Schuldfähig ist, wer in der Lage ist, die Folgen seines Handelns abzuschätzen - sollte man dann nicht auch wählen dürfen?

Was denkst du zum Thema? Bist du dafür, dass auch Kinder und Jugendliche bei der Bundestagswahl und bei Landtagswahlen ihre Stimme abgeben dürfen? Sollte es von Geburt an ein Wahlrecht geben und sollten Eltern stellvertretend für ihre Kinder wählen dürfen, solange sie selbst noch nicht in der Lage dazu sind? Wäre es am besten, wenn das Wahlrecht einfach auf ein bestimmtes Alter herabgesetzt wird - oder findest du es richtig, dass man erst ab 18 wählen darf? Im unten verlinkten Forum kannst du dich mit anderen Lesern darüber austauschen.

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letzte Aktualisierung: 28.02.2010

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