von Britta Pawlak - 08.06.2007
Parallel zum G8-Gipfel der wirtschaftlich mächtigsten Staaten fanden auf dem so genannten "Alternativgipfel" Globalisierungskritiker und Gegner der G8-Politik aus aller Welt zusammen. Tagelang wurden bei der Großdemonstration in Rostock zum einen Diskussionen und Workshops (Arbeitsgruppen) veranstaltet, zum anderen war ein Kulturprogramm mit Konzerten und Kurzfilmen zu sehen. Bekannte Bands und Musiker wie Die Toten Hosen, Juli, Wir sind Helden, Herbert Grönemeyer, Bono und Bob Geldorf traten auf die Bühne. Tausende demonstrierten für mehr Entwicklungshilfe, soziale Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz - und eine "gerechtere Welt".
Gleichzeitig zum Treffen der Staatschefs aus den wirtschaftlich stärksten Nationen und Russland fand in diesen Tagen eine große Protestveranstaltung in Rostock statt. Während die Politiker abgeschottet hinter dem Sicherheitszaun in Heiligendamm weltpolitische Themen besprachen, trafen auf dem Alternativgipfel viele Persönlichkeiten, politisch und sozial engagierte Menschen, Vertreter aus Entwicklungsländern und Tausende von Demonstranten zusammen. Dieser "Gipfel" wird von einem Bündnis aus verschiedenen globalisierungskritischen Bewegungen wie Attac, VENRO, Gerechtigkeit jetzt! und Via Campesina getragen.
Politische Ziele der Organisationen sind, "Wohlstand für alle" zu schaffen, statt Reichtümer ungleich unter wenigen zu verteilen, "soziale Menschenrechte" weltweit durchzusetzen und eine Wirtschaft zu betreiben, bei der Mensch und Umwelt im Zentrum stehen. Grund für den Protest der Globalisierungskritiker ist die Politik der mächtigen G8, der "Gruppe der Acht", die weltweit heftige Kritik hervorruft.
Die G8-Politiker treffen sich jährlich unter einem erheblichen Kostenaufwand - die Ausgaben für Unterkunft und Versorgung der Politiker sowie aufwendige Sicherheitsmaßnahmen in Heiligendamm werden auf über 100 Millionen Euro geschätzt. Zu konkreten Ergebnissen kommt die G8 dabei allerdings nur bedingt. Auf den jährlichen Gipfeln, bei denen Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, die USA, Kanada, Japan und Russland zusammentreffen, stehen weltpolitische Themen an. In Preisen gemessen vereinigen die G8-Staaten ungefähr zwei Drittel des gesamten Welthandels. Es leben aber weniger als 14 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern der G8.
"Eigene Interessen haben für die G8 Vorrang"
Diskutiert werden die Probleme dieser Welt von den Staatschefs reicher Industrieländer - auch, wenn im Rahmen des Gipfels Gespräche mit den Vertretern von den Schwellenländern Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika sowie weiteren afrikanischen Staaten stattfinden. Vollmitglieder des Weltwirtschaftsgipfels sind ausschließlich die G8-Länder. Bemängelt wird dabei vor allem, dass viel zu sehr im eigenen Interesse der "mächtigen Staaten" gehandelt und viel zu wenig gegen Armut und Missstände unternommen wird. Die Kluft zwischen Arm und Reich werde immer größer, so wie auch das Gefälle zwischen Nord und Süd - also zwischen reichen Industriestaaten und der Dritten Welt.
Auch die Maßnahmen gegen die drohende Klimakatastrophe sind nach Ansicht vieler deutlich zu gering. Denn die Handlungen der Politik werden in erster Linie durch wirtschaftliche Interessen bestimmt. Vor allem die USA haben es immer wieder abgelehnt, konkrete Klimaziele zu vereinbaren.
Dabei ist der schädliche CO2-Ausstoß in den Vereinigten Staaten weltweit am höchsten. Was den Klimaschutz angeht, stehen gerade die reichen Industrienationen in der Verantwortung - gefolgt von den ärmeren Schwellenländern, die keine wirtschaftlichen Einbußen in Kauf nehmen wollen, weil sie um ihren Aufschwung bangen. Die armen Entwicklungsländer dagegen sind von der Klimaveränderung zuallererst betroffen: Es drohen immer öfter Naturkatastrophen, Dürreperioden und Trinkwassermangel.
Alle drei Sekunden stirbt ein Kind an Hunger
Wichtig ist den G8-Kritikern die Unterstützung der Dritte-Welt-Länder, der weltweite Kampf gegen Armut und speziell die Hilfe für Afrika. Es wurde ins Gedächtnis gerufen, dass täglich weltweit etwa 24.000 Menschen an Unterernährung sterben und ungefähr 840 Millionen nicht genug zu essen haben. Alle drei Sekunden etwa stirbt ein Kind an den Folgen von Hunger. Auf der Demonstration waren Redner und Entwicklungshelfer aus armen Ländern eingeladen, die die Probleme der Menschen dort schilderten.
Vorgeworfen wird der G8 konkret, dass sie nicht einmal ihre eigenen Zusagen zur Bekämpfung der Armut einhält. Im Jahr 2005 hatten die G8-Staaten in Gleneagles/ Schottland beschlossen, die Entwicklungshilfe für Afrika bis 2010 zu verdoppeln - auf 50 Milliarden US-Dollar. Außerdem wurde verhandelt, den ärmsten Ländern der Welt 40 Milliarden Dollar an Schulden zu erlassen. Zugesagt wurden auch bessere Bildungschancen für Kinder der Dritten Welt und fairere Handelsbeziehungen.
Umgesetzt wurde davon bisher allerdings nicht viel - und es sieht nicht so aus, als ob man das Ziel, die Entwicklungshilfe bis 2010 verdoppelt zu haben, in drei Jahren erreichen wird. Ein großes Problem ist auch, dass immer mehr Menschen in Afrika an HIV erkranken. Unzählige Kinder sind Waisen, weil ihre Eltern an Aids gestorben sind - viele von ihnen sind bereits HIV-positiv auf die Welt gekommen. Die Menschen dort sterben sehr früh an ihrer Krankheit, da die medizinische Versorgung schlecht ist. Man kann sich zum Beispiel keine teuren Medikamente leisten. G8-Gegner fordern viel mehr Unterstützung für die massiven Probleme der armen Länder Afrikas.
Fairer Handel statt Ausbeutung und Kinderarbeit
Außerdem fordern sie die reichen Industrienationen dazu auf, einen fairen Handel zu unterstützen, anstatt in erster Linie auf ihre eigenen Gewinne ausgerichtet zu sein. Durch den Globalisierungsprozess gewinnen Großkonzerne mehr und mehr an Macht, während kleine Unternehmen und einzelne Händler nicht mehr konkurrenzfähig sind. Im Welthandel werden vor allem ärmere Länder benachteiligt. Ihre Produkte werden oft für relativ wenig Geld an andere Länder weiterverkauft.
Viele Menschen arbeiten für einen Hungerlohn, schwere Kinder- und Frauenarbeit ist alltäglich, und Kleinbauern sorgen sich um ihre Existenz. Nicht nur die Politiker, sondern auch die Menschen hier sind aufgerufen, sich mehr zu engagieren und zu informieren. Sehr niedrige Preise für Waren und Lebensmittel zum Beispiel kommen nämlich nicht von ungefähr zustande. Immer häufiger lassen Industrieländer Produkte billiger in ärmeren Ländern produzieren, um höhere Gewinne zu erzielen. Oft arbeiten die Menschen dort für Niedriglöhne unter härtesten Bedingungen.
Rockkonzerte unter dem Motto "Deine Stimme gegen Armut"
Die G8-Demonstration wurde auch von vielen bekannten Musikern unterstützt: 80.000 Menschen haben am Donnerstag (7. Juni) ein Konzert unter dem Motto "Deine Stimme gegen Armut" verfolgt. Dabei traten Musiker wie Herbert Grönemeyer und Sänger Campino der Rockgruppe "Die Toten Hosen" auf. Sie engagieren sich schon seit einigen Jahren für den Kampf gegen Armut - ebenso wie Musiker Bob Geldorf, der sich seit Mitte der 1990er Jahre zusammen mit U2-Sänger Bono für den Schuldenerlass für die Dritte Welt einsetzt.
Im Jahre 2005 organisierte Geldorf das "Live 8"-Konzert, das parallel zum G8-Gipfel in Schottland stattfand und unter dem Motto "Make Poverty History" (Lasst Armut Geschichte werden) stand. Die Veranstalter übergaben den Regierungschefs der G8-Staaten damals eine Petition (Gesuch) mit mehr als 24 Millionen Unterschriften und Namen, die vor allem per SMS und E-Mail gesammelt wurden. Bei der diesjährigen Protestaktion in Rostock waren weiterhin Bands wie Silbermond, die Fantastischen Vier, Sportfreunde Stiller, die Beatsteaks, Wir sind Helden und 2raumwohnung auf der Bühne zu sehen.
Kritik an gewalttätigen Protestlern - und am Vorgehen der Polizei
Rund um Heiligendamm gab es währenddessen weiterhin Proteste und Straßenblockaden. Wieder gelang es Aktivisten, bis zum Sicherheitszaun um das Tagungsgelände vorzudringen. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein, insgesamt liefen die Proteste gegen Ende aber relativ friedlich ab. Die größten Ausschreitungen im Zuge der G8-Demonstration gab es beim ersten großen Protest am vergangenen Wochenende. Dabei wurden nahezu Tausend Menschen verletzt, einige Polizisten und Demonstranten sogar schwer. Gewaltbereite Protestler hatten Autos in Brand gesetzt und mit Steinen geworfen. Daraufhin ging die Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor.
Es handelte sich hierbei um "autonome Gruppen" - die Mehrheit der Protestler demonstrierte friedlich. Deshalb waren viele Demonstranten verärgert darüber, von einigen mit gewalttätigen Gruppierungen "in einen Topf geworfen" zu werden. Viele verurteilen die Gewaltbereitschaft dieser Gruppen und bedauern die Vorfälle - warfen aber auch einigen Politikern und Medien vor, die Ereignisse zu nutzen, um G8-Demonstranten als "Krawallmacher" abzustempeln. Außerdem sind viele von ihnen der Ansicht, dass auch die Polizei mit ihren Handlungen nicht immer auf Schlichtung ausgewesen sei. Diese hätte die Demonstration mehrfach massiv gestört und wäre auch gegen zahlreiche friedliche Protestler aggressiv vorgegangen. Die Polizei weist den Vorwurf entschieden zurück und ist der Meinung, angemessen auf die Ausschreitungen reagiert zu haben.
Kritisiert wurde auch, wie Schiffe der Bundespolizei gegen einen Protest der Umweltorganisation Greenpeace vorgingen. Ein kleines Schlauchboot und ein sechs-Meter-langes Boot wurden von Polizeibooten einfach überfahren. Dabei wurden sechs Greenpeace-Aktivisten verletzt - einige wurden ins Wasser gestoßen. Sie erlitten teils starke Prellungen und Quetschungen an Rippen, Armen und Beinen. Laut Greenpeace war die Polizei zuvor über ihre Aktion informiert worden. Jörg Feddern, Greenpeace-Klimaschutz-Experte, sagte: "Man kann Schlauchboote auch anders stoppen, ohne sie zu überfahren. Gewaltfreier Protest in Sichtweite muss auch bei den mächtigsten Männern und Frauen der Welt möglich sein, ohne dass man in Lebensgefahr gerät." Die Polizei wies erneut jede Kritik zurück.
Insgesamt sind die Globalisierungskritiker mit ihrem Protest gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm zufrieden. Man habe gezeigt, dass auch in Deutschland große politische Bewegungen möglich sind, sagte Werner Rätz von der Demo AG am Freitag in Rostock. "Mit dieser Bewegung muss man in Zukunft rechnen", fügte er hinzu.
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