Bolivien - Reifenflicken ohne Lohn

Teil 5 von 5

04.09.2005

Ramiro lebt in El Alto in Bolivien. Er muss den ganzen Tag Reifen reparieren - ohne Lohn. Nachts schläft er in der Werkstatt. Doch er hat ein Dach über dem Kopf und bekommt etwas zu essen. Er findet, das ist noch besser, als auf der Straße zu leben.

El Alto war ein riesiges Armenviertel am Rande der bolivianischen Hauptstadt La Paz. Nun ist es eine eigene Stadt. (Quelle: Kindermuseum Frankfurt)

Ramiro lebt in El Alto, einer Stadt direkt neben La Paz, der Hauptstadt Boliviens. El Alto bedeutet "die Hohe", weil es 4.000 Meter hoch auf einem Berg liegt. Dort siedelten sich vor 25 Jahren Menschen an, die vom Land in die Stadt kamen, um dort zu arbeiten und ein besseres Leben zu führen. Auch die Eltern von Ramiro, sie gehören zu der Volksgruppe der Aymara-Indios, kamen deshalb nach El Alto. Lange Jahre war die Siedlung das Armenviertel von La Paz, in dem nur Indios lebten, aber heute ist sie eine eigene Stadt mit einer Million Bewohnern. Noch immer wohnen dort hauptsächlich Indios. Das Besondere an El Alto ist, dass die Stadt nicht wirklich von einem Bürgermeister und einer Stadtverwaltung regiert wird, sondern sich die Bewohner selbst in so genannten Nachbarschaftsräten organisiert haben, um ihre Interessen zu vertreten. Jeder Hauseigentümer in El Alto ist Mitglied in einem Nachbarschaftsrat. Diese Räte haben hier die Macht. Wenn sie gegen etwas sind, was die Regierung durchsetzen will, demonstrieren sie oder blockieren einfach die Straßen nach La Paz.

Schotterpisten führen von der Hauptstraße in die Wohnviertel. Niedrige Häuser säumen die Straße, die meisten von ihnen sind unverputzt und sehen aus, als wären sie noch nicht fertig gebaut. Straßenhändlerinnen bieten ihre Waren an. In den Läden entlang der Straßen befinden sich viele Garküchen, Anwaltsklitschen, Gebrauchtwaren- oder Ersatzteillager für Fahrzeuge, landwirtschaftliche Geräte, Waschmaschinen und sanitäre Anlagen.

Den ganzen Tag lang Reifen flicken

Ramiro muss jeden Tag Reifen flicken - und bekommt dafür keinen Lohn. Immerhin hat er aber ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen. (Quelle: Kindermuseum Frankfurt)

In einem dieser Läden lebt Ramiro. Er ist Waise, das heißt, er weiß es eigentlich nicht so genau. Vielleicht leben seine Eltern auch noch. Kurz vor Ramiros Geburt ist sein Vater verschwunden. Seine Mutter verließ ihn ein paar Jahre danach, da war er noch ein kleines Kind: An sie erinnern kann er sich nicht mehr gut. Juan Bautista, ein entfernter Verwandter, nahm ihn bei sich auf. Aber Ramiro lebt nicht in einem Haus sondern in der Werkstatt von Juan. Juan besitzt eine Reifenflickerei. Dort muss Ramiro arbeiten. Ramiro ist ungefähr elf Jahre alt und ist nie zur Schule gegangen, aber mit Reifen, da kennt er sich aus. Seinen Geburtstag kennt er nicht, denn in Bolivien haben die meisten Menschen keine Ausweise, wie zum Beispiel eine Geburtsurkunde, denn die kostet Geld. 90 Bolivianos, das sind ungefähr neun Euro, kostet so eine Urkunde, dafür hatten seine Eltern kein Geld. Für neun Euro kann man sich in Bolivien 60 Kilogramm Kartoffeln oder ein Lamm kaufen.

Morgens trinkt Ramiro eine Tasse dünnen Tee aus Kräutern und isst ein Brot oder ein hartes Brötchen. Ramiros Lieblingsplatz ist auf einem hohen Stapel Reifen. Dort macht er seine Mittagspause und träumt von Bolivar, der besten Fußballmannschaft Boliviens. In der Werkstatt ist immer viel zu tun: Ramiro muss nicht nur den Reifendruck prüfen, die Reifen von den Felgen losen, Reifen flicken und neu montieren, er muss auch die Werkstatt fegen und für den Chef Besorgungen machen. Manchmal bekommt er eine große Wut, weil außer ihm keiner richtig arbeitet. Der Chef sitzt gerne mit seinen Freunden im Büro, das Radio läuft besonders laut. Dann, das kennt Ramiro schon, kommt der Ruf: "Ramiro, wir haben Durst, geh Bier holen!" Ramiro gehorcht, sammelt die leeren l In sehen ein und geht zum Lädchen an der Ecke und holt neues Bier. Er gibt seinem Chef das Bier und bedient schon gleich dm nächsten Kunden. Ramiro schuftet für drei und der Chef und seine Freunde trinken für zehn! Als sein Arbeitstag vorüber ist, zieht er sich auf seinen Reifenstapel zurück und weint. Er fühlt sich einsam und traurig, weil er keinen Vater und keine Mutter mehr hat, die ihn verteidigen und dem Chef mal die Meinung sagen. Er denkt an die vielen Demonstrationen, die er in den letzten Wochen auf den Straßen gesehen hat und würde auch gerne einfach mal streiken, damit sein Chef ihn besser behandelt. Doch er weiß, gemeinsam gegen die teuren Wasserpreise, die schlechten Bedingungen in der Stadt und den Präsidenten zu demonstrieren das ist eine Sache. Aber es ist etwas ganz anderes und viel schwieriger, sich alleine gegen den Chef wehren zu müssen.

Besser als auf der Straße leben

Viele Kinder müssen sich in Bolivien auf der Straße mit kleinen Jobs durchschlagen. (Quelle: Kindermuseum Frankfurt)

Ramiro kann es nicht leiden, wenn die Erwachsenen sich betrinken und versuchen ihren Problemen so zu entkommen. Er kennt auch genügend Kinder, die auf der Straße leben und Schusterleim schnüffeln, billigen Alkohol trinken oder Pitillos, das sind Zigaretten aus Kokapaste, rauchen.

Viele Kinder in den Städten Boliviens leben auf der Straße und arbeiten, seit sie sechs oder sieben Jahre alt sind. Sie werden verächtlich Polillas, das heißt Motten, genannt. Oft werden sie von ihren Eltern dazu gezwungen, durch ihre Arbeit als Schuhputzer, Zeitungsverkäufer, Straßenverkäufer, Straßenfeger, Lastenträger oder Botenjunge Geld für das Leben der Familie zu verdienen. Aus Verzweiflung und Hunger, stehlen viele von ihnen Lebensmittel für ihre Familien. Einige versuchen sich auch Geld zu erbetteln. Ihre Väter und Mütter sind meistens arbeitslos und geben das hart erarbeitete Geld, das die Kinder nach einem Acht bis Zwölf-Stundentag auf der Straße nach Hause bringen, oft für Alkohol und Drogen aus. Viele schlagen ihre Kinder, schreien sie an und behandeln sie schlecht. Deshalb laufen immer mehr Kinder gleich ganz weg und schlafen und leben gemeinsam mit anderen Kindern auf den Straßen der Städte und versuchen für sich selbst zu sorgen.

Ramiro ist froh, dass er wenigstens ein Dach überm Kopf hat, etwas zu Essen bekommt und der Chef ihn nicht schlägt. Obwohl sein Leben nicht einfach ist und er hart arbeitet, fühlt er sich doch selbstbewusst, denn er hat einen Job, den er gut beherrscht. Ramiro hofft, dass er eines Tages, wenn er älter ist, für seine Arbeit bezahlt wird und in einem richtigen Zimmer wohnen kann.

Abends darf Ramiro manchmal bei einem Nachbarn zum Fernsehen vorbeikommen. Der Nachbar hat einen kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher und, besonders wenn ein Fußballspiel gesendet wird, trifft sich bei ihm die ganze Nachbarschaft. Selten hat er Zeit, mit anderen Jungs auf der Straße eine Runde zu kicken, mit einem Ball, den sie sich aus Stofffetzen gebastelt haben.

Ramiro hätte gerne einen kleinen Hund, mit dem er manchmal spielen könnte und der nachts bei ihm auf seiner Matte schlafen würde. Aber das würde der Chef nicht erlauben, und ein Hund müsste ja auch was zu fressen bekommen.

Mehr zur Ausstellung "WeltSpielZeug"


(Quelle: Kindermuseum Frankfurt)

27. August 2005 bis 19. Februar 2006

im Kindermuseum des Historischen Museums

Saalgasse 19, 60311 Frankfurt am Main

Tel.: 069-21 23 51 54

E-Mail: info.kindermuseum@stadt-frankfurt.de

Webseite: www.kindermuseum.frankfurt.de

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letzte Aktualisierung: 11.03.2010

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